diert? Die Automarken, die Broodthaers seiner
Gegenwart entnahm, sind nämlich auf beiden Blät-
tern die gleichen.
Das Auseinanderklaffen von Gegenwart und Ver-
gangenheit ruft paradoxerweise auch etwas ins
Bild, das man in Broodthaers’ logischen Gedan-
kenstrukturen überhaupt nicht erwartet hätte: ein
romantisches Element. Bilder aus einer vergange-
nen Zeit wie die Kühe in «Les Animaux de la Ferme»
oder die Fischfangszenen in «Citron-Citroen», die mit
Broodthaers’ Zusatz «Re&clame pour la Mer du Nord:
Werbecharakter haben, wirken durch ihren Gegen-
wartsbezug im Text nostalgisch. «Ich weiss, mein
Standpunkt ist romantisch, aber ich kann es nicht
ändern)>,3 konstatiert Broodthaers in bezug auf sein
imaginäres Museum für Moderne Kunst.
Gegensätzlichkeiten auf reproduktionstechnischer
formaler, inhaltlicher, zeitlicher und auf gewissen
Blättern (zum Beispiel in «Chere Petite Sceun von
1972 oder in «Lettre ouverte» von 1973) auch auf
räumlicher Ebene prägen in dialektischer Weise
Broodthaers’ gesamtes druckgraphisches Werk.
«Die einzige Möglichkeit für mich, ein Künstler zu
sein, ist vielleicht, ein Lügner zu sein, weil auch alle
Wirtschaftsprodukte, der Handel, die Kommunika-
tion Lügen sind»,* sagt Broodthaers 1972 in einem
Gespräch mit Johannes Cladders in bezug auf sein
imaginäres «Musege d’Art Moderne, Departement
des Aigles». Doch im gleichen Gespräch findet sick
auch folgender Ausspruch Broodthaers’: «Es gibt
die Wahrheit der Lüge. Sie bestimmt mein Be-
wusstsein.»* Diese Haltung äussert sich in seiner
Druckgraphik formal im gleichzeitigen Verwenden
von Weiss und Schwarz, Positiv und Negativ, im
Schreiben und Durchstreichen. Inhaltlich erkennt
man sie beispielsweise auf den Blättern «Das Recht:
von 1972, das ausschliesslich aus Verboten (Nicht
Rauchen) besteht. Solche Widersprüche sind sozu-
sagen die Fixpunkte in Broodthaers’ enzyklopädie-
artigem Bezugssystem, während die «Dinge» aus-
tauschbar sind. Das System seiner fiktiven, soziolo-
gischen Realität ist nach allen Seiten offen, entwick:
lungs- und erweiterungsfähig - ein logisches Denk-
system, in dem sich aber auch Raum findet für poli-
tische, romantische und poetische Momente. Da die
druckgraphischen Blätter allesamt - im Gegensatz
zu etwaigen Rekonstruktionen seiner Ausstellungen
- direkt auf Broodthaers selbst zurückgehen, sind
sie als geschlossenes (Euvre von ganz besonderer
Bedeutung, denn in ihrer Vielfalt findet sich
Broodthaers’ gesamtes Schaffen gespiegelt.
Margrit Bachofen-Moseı
ANMERKUNGEN
aus «Dix Mille Francs de Recompense,», Interview von Irmeline
Lebeer, in: Marcel Broodthaers, Catalogue, Societe des Expo-
sitions du Palais des Beaux-Arts, Bruxelles, du 27-9-1974 au
3-11-1974.
Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner tech-
nischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt, 1970, S. 13.
aus Aufzeichnungen von Marcel Broodthaers im Zusammen
hang mit den verschiedenen Abteilungen des «Departement
des Aigles», Museum für Moderne Kunst im Hinblick auf die
Documenta in Kassel, 1972.
Gespräch von Marcel Broodthaers mit Johannes Cladders ir
Januar 1972, aufgeschrieben von J.C. im Mai 1972, zitiert in
Poetische Aufklärung in der europäischen Kunst der Gegen-
wart, Zürich, 1978/79.