sichtbaren Wirklichkeit, im Fall der Köpfe auch die
Suche nach individualisierender Portraithaftigkeit
'im Fall der 2. Version des Josef Müller-Portraits ein
affensichtlich nicht mehr vollgültig zu lösendes
Problem) aufzugeben, um nach einer inneren,
maginativen und nicht durch das Geschaute kon-
rollierten Idealvorstellung zu schaffen. Natürlich
hängt die Absage an die Arbeit vor dem Modell
und die damit verbundene Zuwendung an die
magination mit der Theorie der «Ecriture auto-
matique) der Surrealisten zusammen, in deren Kreis
Z3iacometti in den späteren zwanziger Jahren zu
verkehren begann. Die lange Entstehungszeit von
'Tete qui regarde», der ganze Winter 1927/28,
deutet jedoch an, dass Giacometti dieser Schritt
aicht leicht gefallen ist. Wenn er später, das heisst
1934, kurz bevor er sich in einer schmerzhaften
Schaffenskrise wieder der Arbeit vor dem Modell
zuwandte, sagen konnte «In diesen Jahren habe ich
aur Skulpturen ausgeführt, die ich fertig vor Augen
gehabt habe. Ich habe mich darauf beschränkt, sie
räumlich auszuführen, ohne etwas an ihnen zu
ändern, ohne mich selbst zu fragen, was sie
voedeuten könnten...>, SO gilt dies zweifellos noch
nicht für die ersten Scheibenplastiken, obwohl diese
die Gruppe der surrealistischen Plastiken einleiten.
die zwischen 1927 und 1933 geschaffen wurden
Jnd auf die sich die soeben zitierte Aussage
bezieht. Auffallendes Merkmal sowohl der Köpfe
wie auch der Ganzfiguren ist die dem Rechteck
angenäherte Umrissform; besonders einsichtig bei
den Figuren wird von Giacometti erstmals in sein
Schaffen ein Gestaltungsmittel eingeführt, das seit
dem Kubismus Anwendung gefunden hat: das Aus
einandergehen von dargestelltem Gegenstand und
dessen konturierender Umreissung. Giacometti hat
sich mit Kubismus auseinandergesetzt, wobei bei
hm allerdings nicht von einer kubistischen Phase
gesprochen werden kann, da sich die von formalen
Jberlegungen diktierten kubistischen Deformatio-
nen stets mit den imaginativ bedingten Abweichun-
gen von der äusseren Wirklichkeit im Sinne des
Surrealismus überlagern. 19
Es ist wiederholt betont worden, dass Giacometti
bei der Findung seiner eigenen surrealen Formen-
sprache weniger von zeitgenössischen Recherchen
als von Werken vergangener und aussereuropä-
ischer Kulturen angeregt worden ist: die Kunst
Schwarzafrikas hat zweifellos ein Werk wie «Femme
cuiller», 1926,11 geprägt; die Scheibenplastiken
wurden von Christian Zervos bereits 1929 mit der
Zykladenkunst in Verbindung gebracht. !2
Die Neuerwerbung der Giacometti-Stiftung ist
beiden Kulturkreisen gleichermassen verpflichtet;
dadurch, dass vom monumentalen Standbild
(«Femme cuiller» die Hohlform der Unterleibspartie
übernommen wird, gerät unsere Plastik gleicher-
massen in den Bereich des primitiven Kulturbildes.
Die streng axialsymmetrische Anlage der Plastik,
aber auch die Interdependenz verwandter Formen
'etwa Kopf, Brüste und Unterleib) bestärken den
meditativen, fast ikonenhaften Idolcharakter. Weil
alle reliefartigen Einzelformen sowie auch die zeich:
nerischen Elemente wie Haare und Arme nur
angedeutet und nicht in harter Ausprägung von der
umgebenden Partien ausgeschieden werden, wird
die ganze Oberfläche in eine zart schwellende
Bewegung versetzt. Diese mehr annähernde, skiz-
zierende Formgebung rückt die Plastik in unmittel-
bare Nähe zur ersten Fassung von <T&te qui
regarde>». Die zunehmende Formverfestigung, die
bei den Scheibenplastiken festzustellen ist (etwa irr
Sinne der Entwicklung von «T&te qui regarde». Inv
Nr.G - S 10 der Alberto Giacometti-Stiftung zu
«Femme» 1928, Inv. Nr.G - S 13) legt nahe, dass
unsere Neuerwerbung vor der bereits erwähnten
Figur «Femme» 13 entstanden ist.
Nicht erst während der produktiven Schaffens-
oeriode der Nachkriegsjahre war Giacometti der
ewig Suchende, der mit dem Erreichten nie zufrie-
den war. Das innovative Resultat der ersten
Scheibenplastiken hat ihn offenbar nicht befriedigt.
1928 schrieb er: «Endlich konnte ich mich ent-
schliessen —- um zu etwas Geld zu kommen - zwei