Full text: Jahresbericht 1983 (1983)

BACON UND BASELITZ - 
ZWEI NEUE BILDER 
DER EXPRESSIV FIGURATIVEN MALEREI 
Etwas vom Irritierenden bei der Beschäftigung mit 
moderner Kunst ist ihr scheinbar modischer 
Charakter, und tatsächlich nähert sich der Kunst- 
betrieb gelegentlich entsprechenden Erscheinungen 
Aber gerade das letzte diesbezügliche Ereignis, die 
grosse Welle figurativ-expressiver Kunst, die um 
1980 unerwartet die breite Masse ergriff, zeigt auch 
das Positive solcher Umschwünge: sie überwinden 
jene Reizschwelle, die eine Lockerung fest- 
gefahrener Meinungen verhindert. Das Modische 
bleibt dabei aber in seinem eigenen Feld, dem der 
sozialen Kommunikation, und dient der Kunst, 
indem es von Zeit zu Zeit zur Revision der still- 
schweigenden Übereinkünfte zwingt: und ohne 
grosse Offenheit, ohne entgegenkommendes Hin- 
hören und Hinsehen auf das, was und wie die 
Künstler ausdrücken, wird man kaum zu einem Ver- 
ständnis von Kunstwerken kommen. 
Bacon und Baselitz, denen 1983 die beiden ge- 
wichtigsten Ankäufe aus dem Bereich der inter- 
nationalen Kunst galten, standen als figurative 
Maler während der langen Zeit des Überwiegens 
des abstrakten Geschmacks in den tonangebenden 
Kunstkreisen abseits der Aufmerksamkeit. Fern von 
den progressiven Kunstmetropolen schufen sie ein 
bedeutendes, ganz eigenständiges Werk, das sie 
nun durch den jüngsten Umschwung zu den wich- 
tigsten Vorläufern der neuen Entwicklung macht. 
Francis Bacon war allerdings in Zürich seit der 
grossen Ausstellung 1962 kein Unbekannter, aber 
ein von der Direktion beantragter Ankauf wurde 
damals von der Kommission abgelehnt: so scheint 
die Kunst auch der Hilfe der Mode zu bedürfen, um 
das als Wichtig erkannte politisch durchzusetzen. 
Francis Bacon, Figure in Mountain Landscape, 1956 
Englands Stellung in der Geschichte der europä- 
ischen Kunst war fast immer peripher; im 18. und 
noch entschiedener im 19. Jahrhundert entwickelte 
sich ein ausgeprägtes Eigenleben, das die Kunst- 
tätigkeit auf der Insel noch stets weitgehend 
bestimmt. Als kontinentaler Besucher der grossen 
Sommerausstellung in der Royal Academy ist man 
überrascht, wie unberührt von den französischen 
oder amerikanischen Avantgarde-Strömungen hier 
eine hochstehende Produktion ansprechender 
Gemälde blüht, die, im Ausland kaum bekannt, sich 
an Ort doch grosser Beliebtheit erfreut: die meisten 
Exponate finden hier Liebhaber und Käufer. Zwar 
erhielten modernistische Impulse in meist eng 
begrenzte englische Gruppen Eingang - etwa 
Kubismus und Futurismus bei den sogenannten 
Vorticists -, doch der einzige in Breite und Tiefe 
wirksame Einfluss ging vom Surrealismus aus, der 
in eine fruchtbare Beziehung zur einheimischen 
Tradition treten konnte - man denke an die Prae- 
raffaeliten, die Exzentriker seit Blake, die Ekklektiker 
seit Reynolds oder auch nur an den aparten eng- 
lischen Farbgeschmack, der sich seit Gainsborough 
mit intensiven Lila-Violett, Resedagrün, Pink oder 
Rosa ganz eigenwillig und für unsere Augen ge- 
legentlich fast schmerzhaft ausprägte. 
Auch Bacon ist in diesem Spannungsfeld zu sehen. 
Die englische Tradition verlangt das vollendete, 
komplexe, komponierte Gemälde: man arbeitete für 
die National Gallery oder den Abfallkübel. Der Sur- 
realismus aber funktioniert mit dem Zufall und der 
mehr oder weniger unkontrollierten Spontaneität: 
die Vereinigung der dadurch befreiten Kräfte mit 
den Ansprüchen des grossen Meisterwerks ist das 
von Bacon immer wieder in den Vorderarund
	        
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