Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

Körperpartien unterstützt. Die Arabeske ermöglicht 
Bonnard zugleich, Bewegung zu suggerieren, indem 
ar die Umrisslinie der flächigen Figuren so führt, 
dass sie die Verkürzung der Körperdrehung berück: 
sichtigt. Dadurch wird beispielsweise die kompli- 
zierte Bewegung der Frauengestalt in der ersten 
Tafel deutlich gemacht, was sich besonders an 
hrem rechten Arm zeigt, in dem die Kurven-Linie 
Armkontur und Körperbewegung zu einer Form zu- 
sammenzieht. Bereits in diesen ohne perspektivische 
Raumerschliessung gestalteten Tafeln wird ersicht- 
ich, dass die Werke Bonnards trotz der Radikalität 
der Forderung nach der Flächenhaftigkeit des Bildes 
nicht rein zweidimensional sind, sondern Projektio- 
nen der tiefenräumlichen Verkürzung in die Fläche 
oleiben. 
Verwendet Bonnard die Arabeske in der neuen For- 
nNensprache als Ersatz für die Modellierung, so 
sucht er ebenfalls nach neuen Möglichkeiten für die 
Darstellung des «Flächenraumes». Der grün gespren- 
kelte Hintergrund von Bonnards Panneau bildet ein 
Nächig dekoratives Grundmuster, vor dem die 
Gestalten zu schweben scheinen, da ihre Stand- 
fläche unmerklich in die Hintergrundsfläche über- 
geht. Dadurch, dass die locker gestreuten Punkte 
Wiesenboden, Garten und Blattwerk suggerieren, 
erhält die Fläche eine gewisse Räumlichkeit. Es ist 
jedoch eine Räumlichkeit ohne festen Standpunkt; 
sie entspricht nicht mehr der Zentralperspektive und 
ihrem Fluchtpunktsvstem. 
Bonnard verwendet die Linie auch als Ausdrucks- 
mittel, um seelische Erregungen zu vermitteln. Neue 
Möglichkeiten zur Ausdruckssteigerung erkennt er 
dabei in der «Deformation», das heisst in der Über- 
treibung bestimmter Eindrücke zu einer eindring- 
lichen Form. Die erste Tafel lebt von der wellen- 
förmig bewegten Linie. Der S-förmige Schwung 
destimmt als grosse Form die Gestalt der Frau und 
des Hundes und kehrt als kleine Form in den Details 
wieder. Die Formangleichung zwischen Mensch und 
Tier geht bis zu der merkwürdig knochenlos und wie 
ausgefranst herunterhängenden linken Hand der 
Frau, die die Bewegung der linken Pfote des Hundes 
wiederaufnimmt. Die beiden Figuren sind darüber 
hinaus formal so zusammengeschlossen, dass sie 
ein einziges Ornament bilden, welches sich durch 
die gesamte Höhe des schmalen Bildformats zieht 
und die Bildfläche dekorativ gliedert, womit Bonnarc 
bereits den Jugendstil vorwegnimmt. In dem von 
japanischen Holzschnitten angeregten S-Kurven- 
schwung,* durch den die natürliche Bewegungsformr 
der Frauengestalt einem starken ornamentalen 
Zwang unterworfen wird, kommt nicht nur ihre 
Körperwendung, sondern auch ihre freudige Erre- 
gung und innere Dynamik zum Ausdruck. Zugleich 
wirkt die Arabeske in ihrer Zeichenhaftigkeit wie die 
Chiffre einer allgemeinen Bewegung, die durch die 
Gestalt hindurch- und über sie hinausgeht und 
Mensch und Tier, Äste und Blumen in gleicher 
Weise erfasst. Sie offenbart damit eine Kraft, die ir. 
allem wirksam ist, zeigt als «Lebens-Chiffre» die 
grosse Einheit alles Lebendigen.® 
Bonnards Tafeln «Femmes au Jardin» tragen auch 
den Titel «Les quatre saisons>. Die Darstellung reiht 
sich in eine Tradition dieses Bildthemas ein, die von 
der Romantik bis zum Symbolismus reicht und ge- 
rade um 1890 verstärkt auflebt. In Werken von 
Böcklin, Marges, Puvis de Chavannes, Burne-Jones 
und Hodler wird das Thema ebenfalls hauptsächlich 
mit der menschlichen Figur gestaltet. Im Gegensatz 
zu deren idealen, feierlich-entrückten Gestalten, die 
sich häufig in einem «rdischen Paradies» bewegen, 
gibt Bonnard seine Frauen völlig gegenwarts- 
bezogen und in einer modisch betonten Kleidung 
wieder. Es ist nicht ganz sicher, ob der Titel «Die 
vier Jahreszeiten» von ihm selbst stammt. In der er- 
sten Ausstellung im Salon des Artistes independants 
von 1891 waren die Tafeln lediglich als «Panneaux 
decoratifs» bezeichnet. Der Verzicht auf den aus- 
drücklichen Titel erklärt sich vielleicht damit, dass 
sich bei den Nabis das Unbehagen gegenüber den 
überlieferten Bildthemen in der heftigen Absage an 
alle «diterarische) Kunst äusserte. Allein durch for- 
O0“
	        
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