Der fünfzackige Schneestern, der den sich schatten-
haft am Boden abzeichnenden Reichsadler über-
deckt, steht einerseits - direkt Bezug nehmend auf
den roten Stern - für das sowjetrussische System;
andererseits ist er offensichtliches Zeichen für das
Gefrorene, für das Kalte, für ein «Deutschland als
Wintermärchen» sowohl chüben» wie «drüben». Der
fünfzackige Schneestern symbolisiert so die Starre
zweier Systeme im Kalten Krieg, die Immendorff je-
doch nicht in der bekannten «Rot = Braun»-Gleichung
der Verfechter einer Totalitarismus-Theorie gleich-
setzt, sondern als Extremformulierungen zweier ge-
gensätzlicher Systeme sieht, die, phänomenologisch
gesehen, sich immer mehr anzugleichen scheinen.
Schräg hinter der Quadriga, auf der rechten Seite
des Schneesterns, sind die Spuren einer Naht in der
abbreviatorischen Form des Brandenburger Tores
selbst zu erkennen, dessen Bekrönung sich im Vor-
dergrund «selbständig» gemacht hat. Die Naht stellt
eine jener inhaltlich vielschichtigen, doch formal
unmittelbar einprägsamen Bilderfindungen Immen-
dorffs dar, die sein Werk seit der Konzipierung des
«Caf&)»-Raumes charakterisieren. Sie geht - diskursiv
- von der Teilung Deutschlands aus. Als Zeichen für
das Geteilte, für das Getrennte ist sie zugleich ver-
narbtes Zeugnis der Losung «Teilung niemals), deren
lautstarke Beschwörung durch den Mauerbau im
Jahre 1961 zum Verstummen gebracht werden soll-
te. Die Naht, die Immendorff in anderen Zusammen-
hängen immer wieder aufnimmt, brennt sich mit den
Konturen der zu «vergessenden) Gegenstände oder
Bildmetaphern in die Schneedecke ein. Das Bran-
denburger Tor vernarbt sich so in der Scheeober-
fläche, als hätte jemand die Wunden genäht, die
mit dem Durchfallen des Monumentes aufgerissen
worden sind. In ihrer angedeuteten Materialität hält
sich die Naht so zwischen Stofflichkeit und Fleisch-
lichkeit, amorph und lebendig zugleich, eisgekühlt
und dampfend...
Entsprechend den tiefen Abdrücken der Fussspuren
eines «Bundes-) oder «Reichsadlers;) in der linken
Bildhälfte, die offenbar von jenem Wesen in Boden
und Schnee gedrückt worden sind, dessen Greife
am rechten oberen Bildrand noch zu erkennen sind,
durchkreuzt von den mit breiten Pinselstrichen um-
rissenen Buchstaben, die das Wort (und damit den
integrierten Bildtitel) «Quadriga>» formen, erhält das
Bild seinen Abschluss auf der rechten Seite durch
eine von Immendorff sogenannte Systemklemme,
auf die eine Reihe von Trommelschlegeln zuführt; je-
nen Holzinstrumenten also, die der Künstler in ande-
rem Zusammenhandg als Futurologen bezeichnet hat
Die Systemklemme ist wohl eines der gelungensten,
in seiner Ambivalenz und Verfügbarkeit am weite-
sten zu differenzierenden Bildelemente Immendorffs
Ein Besuch bei Penck in Dresden 1979 hat auch hier
bis heute seine Spuren hinterlassen. Penck, der be-
geisterte Schlagzeuger, hatte Immendorffs Nerven
mit der fortdauernden Bearbeitung seines Schlag-
zeuges auf die Probe gestellt. Das Instrument seiner
individuellen Befreiungsversuche, die «Blech-
trommebh Ralf Winklers, wurde gleichzeitig Terrorin-
strument.* Der trockene, durch das abrupte Zu-
sammenklemmen der beiden Beckenteller wie abge-
brochene Laut wird zum Ausgangspunkt für den Ge-
halt der Systemklemme, der Bild gewordenen Meta-
pher für die schmerzenden Zwänge beider Systeme
So finden sich sowohl die beiden Malerfreunde zwi-
schen den Tellern hilflos zappelnd wie auch die je-
weiligen Staatsemblemata selbst. Im Bild Quadriga
findet sich ein Geschützturm in die Klemme genom
men, eines jener Bildzeichen, das Immendorff aus
der Umformung des DDR-Staatsemblems «Hammer
und Zirkel» zu einem auf spitzen Füssen marschie-
renden Aggressionsobjekt umgedeutet hat.®
Der Trommelschlegel taucht bei früheren Bildern wie
auch in der Quadriga in gestaffelter Folge, wie in
verschiedenen Momentaufnahmen festgehalten, aut
- Bewegung evozierend und damit in einen zeit-
lichen Zusammenhang gebracht. Immendorff para-
phrasiert damit bewusst ein Stilmittel der italieni-
schen <«Futuristen». Er bezieht sich dabei einerseits