Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

auf die Aktionen und die Malerei des <«Futurismus) 
Jınd dessen fast bruchloses Einmünden in den 
Faschismus, wie andererseits auf die ambivalente 
<raft dessen, der die Systemklemme als Futurologe 
bearbeitet, als Element des Zukunftweisenden im 
vosıtiven Sinne, das jedoch im ironischen Unterton 
der eigenen Bezeichnung wiederum relativiert wird 
All die beschriebenen Bildelemente scheinen wie 
olastische Figurationen auf einem offenen Bühnen: 
raum zu agieren, dessen Dimensionen lediglich 
durch den wie aufgeklappt wirkenden Schneestern 
ausgemessen werden. Nur die Nahsicht und das 
«künstliche» Licht, das verschiedene Partien schlag- 
lichtartig erhellt und andere ins undefinierbare 
Junkel tauchen lässt, erinnern noch an die ur- 
sprünglichen Gegebenheiten des «Cafe&»-Raums von 
Immendorff. Malerisch hat sich der Künstler von 
ainem plakativen Flächenstil über die differenzierte 
Lichtführung der ersten «Cafe Deutschland>-Bilder zu 
ainem Stil hin entwickelt, der in seinem expressiven 
Farbauftrag kongenial zu den vielfältig möglichen 
Interaktionen der dargestellten Bildelemente ver- 
läuft. «Die Gegenstandswahrnehmung ist durchwirkt 
von der „Materialfähigkeit” der Malerei, die ihrerseits 
eine Botschaft enthält. ..»5 Es sind die Schatten und 
UJmrisse, die gerade in diesem Bild die Elemente der 
Komposition markieren. Das emotionale Moment 
wird zwar durch die Darstellung der Objekte stimu: 
liert, der Kern der Emotionalität liegt jedoch in der 
Art und Weise der Benutzung der starken Hell- 
Dunkel-Kontraste zusammen mit der differenzierten, 
tonigen Farbwirkung grosser Flächen mit hervorge- 
hobenen starken Akzenten. «Erst dadurch, dass Im- 
mendorff sich der Malerei als solche versichert, ent- 
steht die ästhetische Basis für den Weltentwurf und 
die Weltinterpretation seines Werkes, die sich 
grundsätzlich und modellhaft mit Situationen und 
Positionen auseinandersetzt. Der Impuls seiner 
Kunst besteht in dem rein malerischen Prozess der 
Entladung der weiss-schwarzen Energie. Die imagi- 
näre und die reale Bewegung in den Bildern, die aus 
diesem Impuls sichtbar wird, nutzt Immendorff, um 
von einem zum anderen zu kommen. Ohne die 
Weiss-Schwarz-Polarität wäre die Modellhaftigkeit 
der Ikonographie nicht denkbar.»® 
Von der Bildikonographie wie auch vom spezifischer 
Malstil her gesehen, steht Immendorffs Werk wohl 
einzigartig da in der neueren Malerei und vor allem 
der jüngeren deutschen Malerei. Was ihn aber mit 
den Bestrebungen etwa eines Georg Baselitz oder 
Anselm Kiefer verbindet, ist die Aufarbeitung und 
Aktualisierung deutscher Geschichte (und deutsche‘ 
Mythologie) mit künstlerischen Mitteln - deutsche 
Geschichte jedoch im Hinblick darauf, was ihre Im- 
plikationen für die «Weltlage> ausmacht. 
Toni Stooss 
Anmerkungen 
— Im Jahre 1983 hat Immendorff die Thematik sowohl vom Inhalt 
wie auch von der Titelgebung her wieder aufgenommen, So 
etwa in Werken wie Deutschland in Ordnung bringen und Cafe 
Deutschland — Kate Dora und bis heute weitergeführt. 
Siehe dazu den ausführlichen Beitrag von Toni Stooss, Das (Ca- 
f&, für die Naht) oder Wo Immendorff Deutschland in Ordnung 
bringt, in: Katalog /mmendorff, Kunsthaus Zürich 1983, S.134- 
152. 
Das Brandenburger Tor wurde 1788-1791 nach den Plänen vor 
Carl Gotthardt Langhans (1732-1808) als Stadttor im Westen 
Berlins erbaut. Die Bekrönung bildet Gottfried Schadows 
‘11764-1850) Quadriga mit Siegesgöttin, die im Jahre 1793 fer 
tiggestellt wurde. Nach einem Erlass von 1792 sollte das Tor al: 
(«Friedenston gelten. In seiner endgültigen Form wurde es als 
Monument des preussischen Staates und Königtums begriffen 
Die Wilhelminische Epoche feierte das Tor als Denkmal des 
preussischen Staates und des Kaisertums. Am Abend der 
Machtergreifung Hitlers, am 30. Januar 1933, veranstaltete die 
NSDAP einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor. Im Zweı 
ten Weltkrieg wurde es schwer beschädigt, die Quadriga- 
Gruppe nahezu zerstört. 1950 entfernte man die Überreste und 
liess die Quadriga nach Abgüssen aus dem Jahre 1942 rekon 
struieren. Die neue Quadriga wurde 1958 auf das wieder her 
gestellte Tor gesetzt. Durch die Teilung Deutschlands, den 
Mauerbau von 1961 und den «Kalten Krieg» wurde es zum Sym 
bol für die Teilung Deutschlands und damit zugleich für die 
Hoffnung auf eine mögliche Wiedervereinigung. 
In Entwürfen und Ideenskizzen zum Thema des Brandenburger 
Tores, die sich später in der Plastik «Naht» materialisieren soll- 
ten, trommeln die beiden Künstlerfreunde auf dem Dach dieses 
preussischen Monumentes mit Holzschlegeln auf die Becken- 
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