Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

rechten Winkel darüber neun in drei Dreiergruppen, 
die äussern mit der Krümmung nach oben, im Zen- 
trum nach unten. Ein Konkav-Konvex-Spiel als dem 
Boden enthobene Plastik aus vertrauten, bereits 
anderswo erfahrenen Teilen. Sie enthält so als nicht 
artikulierte, sondern konstellierte Konstruktion im 
labilen Gleichgewicht die Dimension der Dauer. 
Barrel Construction ist eine sowohl lapiıdare wie viel 
schichtige, früh Form gewordene Reflektion in einer 
Zeit, in der die Künstler beginnen, das fertige Pro- 
dukt in Frage zu stellen, um über Zeit/Raum- 
Konzepte, Materialprozesse, Sichtbarmachung der 
Energie in der Materie und carme» Materialien als 
Wunschträger neue bildliche und plastische Vor- 
stellungen zu visualisieren. In späteren Arbeiten geht 
Rabinowitch folgerichtig von den von innen her 
determinierten, aber nicht artikulierten Körpern über 
zu determiniert-artikulierten (Grease-Cones, 1965) 
und schliesslich zur Berücksichtigung der von ihm 
(somatisch) genannten skulpturalen Qualitäten, Arti- 
kulationen des plastischen Körpers mittels Biegung, 
Addition von Teilen, Verwendung der offenen und 
geschlossenen Form, Einsatz von Vorder- und Rück 
seite, des vertauschten Oben und Unten, der Verti- 
kalen, Horizontalen und Diagonalen, von Symmetrie 
und Asymmetrie, Vermehrung der Achsen und 
damit der Umwandlung der Zeitmomente in Dauer 
(Manıfolds, seit 1974). 
«Back to the Basics)» sagte jeweils John Helman 
bewundernd vor den der Wand vorgehängten, aber 
wie in sie eingelassenen oxydierten Stahlplatten von 
Ellsworth Kelly. Das gilt auch für Rovden Rabino- 
witch. 
Harald Szeemann 
Anısh Kapoor (geb. 1954 Bombay, lebt in London) 
Ohne Titel, 1984 
Nach der Bilderflut der letzten Jahre, der zur Läute: 
rung der Konzeptschwemme so notwendigen, ist 
allenthalben Aufbruchstimmung zu spüren: Es 
drängt zu Plastik und Skulptur. Das ist nur natürlich 
denn die grenzüberschreitende Avantgarde hat die 
überzeugendsten Formulierungen für Bedeutungs- 
polyvalenzen stets im Objekt erreicht. Und die Übe' 
führung dieses starken Erbes in die Zweidimensio- 
nalität wurde in der Malerei der letzten Jahre, sinn- 
lich und gestuell wie sie eben war, vernachlässigt. 
Gerade Anish Kapoor ist unter den jungen Bild- 
hauern nun ein Musterbeispiel, wie Ablösungen 
auch vor sich gehen können, nämlich nicht abrupt 
und medienüberzeugt. Kapoor bewahrt der neuer 
Skulptur eine starke erotische Präsenz, und seine 
Farbkörper sind Skulptur und Malerei In einem. 
Seine Skulpturen sind auf rein plastische Äusserun- 
gen zurückgeführte Primärsymbole (Baum, Berg, 
Tempel, Vagina, Lingam), die als äusserste, sie 
gleichsam entmaterialisierende und die Benennung 
erschwerende Schicht eine Pigmenthaut erhalten. 
Vorherrschend sind Blau, Rot, Gelb, neuerdings auctk 
Erd-und Lehmfarbe und Schwarz. Der gebürtige 
Inder schöpft aus der hinduistischen Religion und 
ihrer vor allem Krishna verbundenen Farbsymbolik 
doch ergibt die Vermählung von Form und Farbe 
eine «Auratisierung» der Körper und damit eine 
Durchdringung der exotisch-erotischen Form mit de: 
westlichen Kraft der reinen Monochromie. Nicht vor 
ungefähr erinnern bei allen Formverschiedenheiten 
seine blauen Farbkörper an «Le destin plastique du 
pigment pur von Yves Klein, der lange Jahre im Fer 
nen Osten zugebracht hat. Für das hinduistische 
Denken sind Sinnlichkeit und Geist eins. Diesem 
Ganzheitsdenken kommt Kapoor am nächsten weni- 
ger in Einzelstücken als vielmehr in den von ihm mit 
mehreren - «männlichen» und «weiblichen» - Farb- 
körpern kreierten «Orten der Kraft», mit reinen <«un- 
berührbaren» Pigmentzonen, zu denen er sich ge- 
äussert hat: «Wenn Sinnlichkeit voam Wunsch nach
	        
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