Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

Ausstellungen der Stiftung für die Photographie 
Ren&6 Burri — One world 
Unter dem anspruchsvollen Titel «One world» prä- 
sentierte Rene Burri sein über dreissigjähriges 
Photographenleben erstmals im Überblick. Mit einer 
gleichnamigen Monographie wurde nicht nur ein 
Bild der Welt als einer geographischen Einheit 
antworfen, sondern die Erfahrungen eines Weltrei- 
senden zwischen Ost und West, Nord und Süd, 
zwischen privater Existenz und öffentlichem Auftrag 
thematisiert. Denn der 1933 in Zürich geborene Fins- 
(er-Schüler Burri, der bereits 1956 Anschluss an die 
berühmte Photographenagentur Magnum fand, 
misstraute früh der «Wahrheit des historischen 
Ereignisses» und suchte eher die anonymen Passan- 
ten der Geschichte. Mit seiner 1962 publizierten 
Recherche «Die Deutschen» fand Burri zu seinem 
analysierenden Stil, der auch die in der illustrierten 
Weltpresse publizierten Reportagen aus Kuba und 
China, dem Nahen Osten und Vietnam auszeichnet. 
Eine ganze Werkreihe von kleinen, häufig im Flug- 
zeug oder Hotel geklebten Collagen und zwei 
:Megaphotomobile» verdeutlichten Burris Skepsis 
dem rein photographischen Bild gegenüber. Ausstel- 
lung und Buch vermittelten drei Jahrzehnte jüngster 
Weltgeschichte, wie sie von einem Einzelnen exem- 
olarisch erlebt wurden, und lösten ein intensives 
Echo aus, welches auch durch weitere Stationen, 
wie Paris, Mailand, Havanna und Lausanne, zum 
Ausdruck kommt. 
Hans Staub, Henriette Grindat, Kaspar Th. Linder 
Ein noch grösserer Besucherandrang als den Photo- 
graphien von Ren6 Burri war jenen von Hans Staub 
beschieden, der während der Ausstellungsdauer sei- 
nen 90jährigen Geburtstag feiern durfte. Staubs 
‚Schweizer Alltag - eine Photochronik 1930-1945» 
zog naturgemäss vor allem jene Generation an, wel- 
;he diese Epoche noch selber erlebt hatte. Für viele 
Schüler hingegen bedeutete sie die erste Bekannt- 
schaft mit einer von Krise und Krieg bedrohten 
Schweiz. Auch die starke Resonanz der Ausstellung 
wie des gleichzeitig erschienenen Buchs in der 
Presse belegten, dass Staub und Arnold Kübler, für 
dessen «Zürcher Illustrierte) er als einer der ersten 
orofessionellen Photoreporter von 1930 bis 1941 tä- 
tig war, eine einzigartige Dokumentation über das 
oolitische, soziale und kulturelle Leben des Landes 
geschaffen hatten. Dies verwunderte um so mehr, 
als Staub nach Kriegsende als Photoreporter kaum 
nehr entsprechende Aufgaben fand und bald «ver- 
Jgessem wurde. Erst in den späten siebziger Jahren 
wurde im Zug der historischen Aufarbeitung der 
jüngeren Schweizer Geschichte das Interesse 
wieder auf ihn gelenkt. Die Schweiz dankt Staub die 
'ebensnahe Photochronik einer ganzen Epoche - er 
nat sein gesamtes Archiv 1978 in grosszügiger 
Weise der Stiftung für die Photographie übergeben 
und ist kurz nach der Ausstellung vom Kanton 
Zürich ausgezeichnet worden. Die Stiftung für die 
Photographie hat mit den Ausstellungen und Mono 
graphien Paul Senn (1981), Gotthard Schuh (1982) 
und Hans Staub die drei wichtigsten schweizeri- 
schen Photoreporter der dreissiger und vierziger 
Jahre der Öffentlichkeit zurückgegeben. 
In den beiden hinteren Erdgeschoss-Räumen spie- 
gelten Photos der Waadtländerin Henriette Grindat 
'geb. 1923) und des jungen Baslers Kaspar Linder 
'geb. 1951) den Weg, den die Photographie eine und 
zwei Generationen nach Staub von der Dokumenta- 
tion der Wirklichkeit zu ihrer künstlerischen Interpre 
tation genommen hat. Henriette Grindats Schaffen 
‚st aus dem Umkreis des Surrealismus gewachsen 
ınd tendiert zu einer subjektiven, poetischen Bild- 
welt, wie der Essay «La Posterit& du Soleib mit 
Texten von Albert Camus einprägsam belegte. Ihre 
geheimnisvollen, häufig von Spiegelungen, Reflexen 
oder Überblendungen bestimmten Aufnahmen lies: 
sen ein stark feminines Lebensgefühl ahnen, das 
seine eigenwillige Ästhetik gefunden hat. 
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