Ausstellungen der Stiftung für die Photographie
Ren&6 Burri — One world
Unter dem anspruchsvollen Titel «One world» prä-
sentierte Rene Burri sein über dreissigjähriges
Photographenleben erstmals im Überblick. Mit einer
gleichnamigen Monographie wurde nicht nur ein
Bild der Welt als einer geographischen Einheit
antworfen, sondern die Erfahrungen eines Weltrei-
senden zwischen Ost und West, Nord und Süd,
zwischen privater Existenz und öffentlichem Auftrag
thematisiert. Denn der 1933 in Zürich geborene Fins-
(er-Schüler Burri, der bereits 1956 Anschluss an die
berühmte Photographenagentur Magnum fand,
misstraute früh der «Wahrheit des historischen
Ereignisses» und suchte eher die anonymen Passan-
ten der Geschichte. Mit seiner 1962 publizierten
Recherche «Die Deutschen» fand Burri zu seinem
analysierenden Stil, der auch die in der illustrierten
Weltpresse publizierten Reportagen aus Kuba und
China, dem Nahen Osten und Vietnam auszeichnet.
Eine ganze Werkreihe von kleinen, häufig im Flug-
zeug oder Hotel geklebten Collagen und zwei
:Megaphotomobile» verdeutlichten Burris Skepsis
dem rein photographischen Bild gegenüber. Ausstel-
lung und Buch vermittelten drei Jahrzehnte jüngster
Weltgeschichte, wie sie von einem Einzelnen exem-
olarisch erlebt wurden, und lösten ein intensives
Echo aus, welches auch durch weitere Stationen,
wie Paris, Mailand, Havanna und Lausanne, zum
Ausdruck kommt.
Hans Staub, Henriette Grindat, Kaspar Th. Linder
Ein noch grösserer Besucherandrang als den Photo-
graphien von Ren6 Burri war jenen von Hans Staub
beschieden, der während der Ausstellungsdauer sei-
nen 90jährigen Geburtstag feiern durfte. Staubs
‚Schweizer Alltag - eine Photochronik 1930-1945»
zog naturgemäss vor allem jene Generation an, wel-
;he diese Epoche noch selber erlebt hatte. Für viele
Schüler hingegen bedeutete sie die erste Bekannt-
schaft mit einer von Krise und Krieg bedrohten
Schweiz. Auch die starke Resonanz der Ausstellung
wie des gleichzeitig erschienenen Buchs in der
Presse belegten, dass Staub und Arnold Kübler, für
dessen «Zürcher Illustrierte) er als einer der ersten
orofessionellen Photoreporter von 1930 bis 1941 tä-
tig war, eine einzigartige Dokumentation über das
oolitische, soziale und kulturelle Leben des Landes
geschaffen hatten. Dies verwunderte um so mehr,
als Staub nach Kriegsende als Photoreporter kaum
nehr entsprechende Aufgaben fand und bald «ver-
Jgessem wurde. Erst in den späten siebziger Jahren
wurde im Zug der historischen Aufarbeitung der
jüngeren Schweizer Geschichte das Interesse
wieder auf ihn gelenkt. Die Schweiz dankt Staub die
'ebensnahe Photochronik einer ganzen Epoche - er
nat sein gesamtes Archiv 1978 in grosszügiger
Weise der Stiftung für die Photographie übergeben
und ist kurz nach der Ausstellung vom Kanton
Zürich ausgezeichnet worden. Die Stiftung für die
Photographie hat mit den Ausstellungen und Mono
graphien Paul Senn (1981), Gotthard Schuh (1982)
und Hans Staub die drei wichtigsten schweizeri-
schen Photoreporter der dreissiger und vierziger
Jahre der Öffentlichkeit zurückgegeben.
In den beiden hinteren Erdgeschoss-Räumen spie-
gelten Photos der Waadtländerin Henriette Grindat
'geb. 1923) und des jungen Baslers Kaspar Linder
'geb. 1951) den Weg, den die Photographie eine und
zwei Generationen nach Staub von der Dokumenta-
tion der Wirklichkeit zu ihrer künstlerischen Interpre
tation genommen hat. Henriette Grindats Schaffen
‚st aus dem Umkreis des Surrealismus gewachsen
ınd tendiert zu einer subjektiven, poetischen Bild-
welt, wie der Essay «La Posterit& du Soleib mit
Texten von Albert Camus einprägsam belegte. Ihre
geheimnisvollen, häufig von Spiegelungen, Reflexen
oder Überblendungen bestimmten Aufnahmen lies:
sen ein stark feminines Lebensgefühl ahnen, das
seine eigenwillige Ästhetik gefunden hat.
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