Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

Sammlung 
«Während mehr als einem halben Jahrhundert ha- 
ben mein Gatte und ich - aus Freude am Schönen —- 
eine Anzahl Gemälde und Skulpturen gesammelt. Da 
wir stets Gegner aller Publizität waren, haben wir 
diese Sammlung nie der Öffentlichkeit gezeigt. 
Als Überlebende von uns beiden vermache ich nun 
diese Sammlung - soweit sie ausstellungswürdig ist 
- dem Kunsthaus in Zürich, verbunden mit der Auf- 
lage, dass die Gemälde und Skulpturen unter der 
Bezeichnung „Johanna und Walter L. Wolf-Samm- 
lung” permanent dem Publikum im Kunsthaus 
Zürich zugänglich aemacht werden.) 
Dies ist der Wortlaut des Testamentes von Frau Jo- 
hanna Wolf, dem das Kunsthaus eine Sammlung 
verdankt, die als eine der bedeutendsten Schenkun- 
gen in die Annalen unseres Institutes eingehen wird 
Wenn es hier im Wortlaut zitiert wird, dann vor al- 
lem deshalb, um den sympathisch zurückhaltenden 
Geist zu zeigen, der diese Sammlungstätigkeit gelei- 
tet hat. Zusammen mit dem Sohn des Sammlerehe- 
paares, Herrn Werner M. Wolf, durfte die Direktion 
aus den umfangreichen Beständen 18 Bilder und 
eine Holzplastik auswählen, die die im Kunsthaus 
bereits vorhandenen Werkgruppen aufs vortreff- 
lichste abrunden. Den Kernbestand der Sammlung 
Wolf bildet eine Gruppe von 13 Gemälden, die vom 
Impressionismus über den Fauvismus zum Kubismus 
führt. So ist es besonders erfreulich, dass dank die- 
ser Schenkung Bilder von Künstlern, die bislang 
Nicht vertreten waren wie Fantin-Latour, Pissarro, 
Signac, Vlaminck, Valtat, Severini, dauernd in die 
Schausammlung aufgenommen werden konnten. 
Das bedeutendste der impressionistischen Gemälde 
der Sammlung Wolf, «La chaumiere normande; von 
Claude Monet, schliesst die Lücke zwischen den 
beiden Frühwerken und den späteren Gemälden die 
ses Künstlers, dessen Werkgruppe zum kostbarsten 
Besitz unserer Sammlung zählt. Zu den vier Werken 
Barlachs, die sich seit Jahren in der Sammlung be- 
finden, tritt «Der Flüchtling» aus der Schenkung Wol‘ 
sicher als die eindrücklichste Schöpfung des Künst- 
lers, in der er den Höhepunkt der dramatisch 
expressiven Tendenzen seines Stiles erreicht. In 
diesem Sinne bedeutet die Schenkung Wolf für das 
Kunsthaus mehr als den Gewinn einer Reihe von 
schönen Bildern: In der an Meisterwerken und 
fruchtbaren Entwicklungen reichen Periode vom 
Impressionismus zum Kubismus treten sie in so 
glücklicher Weise zu den vorhandenen Werken, das: 
nunmehr die Grundzüge der stilistischen Bewegun 
gen eindringlicher nachvollzogen werden können. 
Ähnliches gilt für die beiden Werke, die der ehe- 
malige Direktor des Winterthurer Kunstmuseums, Dı 
Heinz Keller, dem Kunsthaus testamentarisch ver- 
macht hat. Constantin Brancusis «Muse endormie Il: 
von 1926 ergänzt in geradezu idealer Weise «Oisear 
dans l’Espace», dieses Hauptwerk der Plastik des 
20. Jahrhunderts, das 1954 von der Vereinigung 
Zürcher Kunstfreunde erworben worden war. Zur 
hoch aufragenden Marmorskulptur tritt somit die lie 
gende Bronzeplastik in einem ausserordentlich schö 
nen Guss, der von Brancusi durch beharrliche Bear- 
beitung jener Vollendung entgegengetrieben worder 
ist, die ein immer wieder verblüffendes Charakteri- 
stikum der formal äusserst präzisen Gestaltungen 
dieses Künstlers darstellt. 
Dagegen war Giorgio Morandi in der Sammlung 
nicht vertreten. Das <«Stilleben) von 1950 ergänzt un 
sere relativ kleine Gruppe von Werken italienischer 
Künstler des 20. Jahrhunderts in ebenso prägnante' 
Weise wie Severinis «Autoportrait au canotier aus 
der Sammlung Wolf.
	        
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