Sammlung
«Während mehr als einem halben Jahrhundert ha-
ben mein Gatte und ich - aus Freude am Schönen —-
eine Anzahl Gemälde und Skulpturen gesammelt. Da
wir stets Gegner aller Publizität waren, haben wir
diese Sammlung nie der Öffentlichkeit gezeigt.
Als Überlebende von uns beiden vermache ich nun
diese Sammlung - soweit sie ausstellungswürdig ist
- dem Kunsthaus in Zürich, verbunden mit der Auf-
lage, dass die Gemälde und Skulpturen unter der
Bezeichnung „Johanna und Walter L. Wolf-Samm-
lung” permanent dem Publikum im Kunsthaus
Zürich zugänglich aemacht werden.)
Dies ist der Wortlaut des Testamentes von Frau Jo-
hanna Wolf, dem das Kunsthaus eine Sammlung
verdankt, die als eine der bedeutendsten Schenkun-
gen in die Annalen unseres Institutes eingehen wird
Wenn es hier im Wortlaut zitiert wird, dann vor al-
lem deshalb, um den sympathisch zurückhaltenden
Geist zu zeigen, der diese Sammlungstätigkeit gelei-
tet hat. Zusammen mit dem Sohn des Sammlerehe-
paares, Herrn Werner M. Wolf, durfte die Direktion
aus den umfangreichen Beständen 18 Bilder und
eine Holzplastik auswählen, die die im Kunsthaus
bereits vorhandenen Werkgruppen aufs vortreff-
lichste abrunden. Den Kernbestand der Sammlung
Wolf bildet eine Gruppe von 13 Gemälden, die vom
Impressionismus über den Fauvismus zum Kubismus
führt. So ist es besonders erfreulich, dass dank die-
ser Schenkung Bilder von Künstlern, die bislang
Nicht vertreten waren wie Fantin-Latour, Pissarro,
Signac, Vlaminck, Valtat, Severini, dauernd in die
Schausammlung aufgenommen werden konnten.
Das bedeutendste der impressionistischen Gemälde
der Sammlung Wolf, «La chaumiere normande; von
Claude Monet, schliesst die Lücke zwischen den
beiden Frühwerken und den späteren Gemälden die
ses Künstlers, dessen Werkgruppe zum kostbarsten
Besitz unserer Sammlung zählt. Zu den vier Werken
Barlachs, die sich seit Jahren in der Sammlung be-
finden, tritt «Der Flüchtling» aus der Schenkung Wol‘
sicher als die eindrücklichste Schöpfung des Künst-
lers, in der er den Höhepunkt der dramatisch
expressiven Tendenzen seines Stiles erreicht. In
diesem Sinne bedeutet die Schenkung Wolf für das
Kunsthaus mehr als den Gewinn einer Reihe von
schönen Bildern: In der an Meisterwerken und
fruchtbaren Entwicklungen reichen Periode vom
Impressionismus zum Kubismus treten sie in so
glücklicher Weise zu den vorhandenen Werken, das:
nunmehr die Grundzüge der stilistischen Bewegun
gen eindringlicher nachvollzogen werden können.
Ähnliches gilt für die beiden Werke, die der ehe-
malige Direktor des Winterthurer Kunstmuseums, Dı
Heinz Keller, dem Kunsthaus testamentarisch ver-
macht hat. Constantin Brancusis «Muse endormie Il:
von 1926 ergänzt in geradezu idealer Weise «Oisear
dans l’Espace», dieses Hauptwerk der Plastik des
20. Jahrhunderts, das 1954 von der Vereinigung
Zürcher Kunstfreunde erworben worden war. Zur
hoch aufragenden Marmorskulptur tritt somit die lie
gende Bronzeplastik in einem ausserordentlich schö
nen Guss, der von Brancusi durch beharrliche Bear-
beitung jener Vollendung entgegengetrieben worder
ist, die ein immer wieder verblüffendes Charakteri-
stikum der formal äusserst präzisen Gestaltungen
dieses Künstlers darstellt.
Dagegen war Giorgio Morandi in der Sammlung
nicht vertreten. Das <«Stilleben) von 1950 ergänzt un
sere relativ kleine Gruppe von Werken italienischer
Künstler des 20. Jahrhunderts in ebenso prägnante'
Weise wie Severinis «Autoportrait au canotier aus
der Sammlung Wolf.