Full text: Jahresbericht 1984 (1984)

Wir würden dem existentiellen Ernst der Kunst Bar- 
lachs nicht gerecht, wenn wir in dem <«Flüchtling» 
nicht auch eine Symbolfigur für das Schicksal zahl- 
loser Menschen in Deutschland seit dem Ersten 
Weltkrieg zu sehen vermöchten. Barlach und sein 
breite Schichten unmittelbar ansprechendes Werk 
wurde von den Nationalsozialisten geächtet, seine 
Arbeiten aus der Öffentlichkeit verbannt. Dank dem 
bereits 1931 von Wartmann erworbenen <Ekstatiker)» 
blieb er im Kunsthaus stets gegenwärtig; später kam 
die eindrückliche Maske Kollmanns als Geschenk 
von Walther Feilchenfeldt dazu - Barlach schenkte 
sie seinem wichtigsten Förderer, dem Kunsthändler 
Paul Cassirer, dessen Firma Feilchenfeldt in der 
Schweiz weiterführte. Mit vier Holzskulpturen und 
einem Bronzeguss dürfte Zürich nach den Barlach- 
Häusern in Güstrow und Hamburg heute die bedeu- 
tendste Werkgruppe seiner Hand besitzen. 
Claude Monet: Chaumiere normande 
Um 1880 geriet die Bewegung des französischen 
Impressionismus in eine gewisse Krise: Nachdem in 
den sechziger Jahren die fünfundzwanzig- bis 
dreissigjährigen Künstler ihre Aufgabe und mit der 
Pleinair-Malerei einen Weg zu ihrer Lösung ge- 
funden hatten, entstanden in den siebziger Jahren 
ihre bereits von meisterhafter Sicherheit getragenen. 
spontanen und frischen Landschaften, die bis heute 
der Inbegriff eines impressionistischen Bildes ge- 
blieben sind. Danach aber begann sich der innere 
Zusammenhalt der Gruppe zu lösen; die regel- 
mässigen gemeinsamen Ausstellungen setzten aus. 
Während die schwächeren Mitglieder langsam 
einem gewissen Schematismus verfielen, wurden 
die bedeutenderen unzufrieden mit dem bisher 
Erreichten und suchten nach einer strenger fundier- 
ten, weniger leicht aus dem Pinsel fliessenden 
Kunst: Renoir empfand nun die Vernachlässigung 
der linearen Zeichnung zugunsten der Farbe als 
grossen Fehler, Pissarro litt unter der offenen, spon- 
tan auf die Stimmung eingehenden Pinselführung 
und griff begierig den systematischen, von Seurat 
entwickelten Pointillismus auf. 
Auch in dieser Situation erwies sich Monet als der 
Hauptmeister des Impressionismus, in dem er die 
Krise durch eine folgerichtige Vertiefung der im- 
pressionistischen Prinzipien selbst zu überwinden 
trachtete. In dem Bemühen, einen bestimmten Stim 
mungsmoment zu erfassen, wurde er immer an- 
spruchsvoller; besonders in den an der normanni- 
schen Küste gemalten Bildern ist die Vielfalt und 
Differenziertheit der atmosphärischen Bedingungen 
erstaunlich und erklärt seine Verzweiflung über das 
wechselhafte Wetter, das kein Gemälde zur Voll- 
andung kommen lasse. Er sucht in den zerklüfteten 
UJfern und Felsformationen aber auch neuartige Bild- 
motive, die eine den Wiesen und Bächen der Ile de 
France fremde Spannung, ja gelegentlich fast etwas 
Pathetisches in die Komposition bringen; so kon- 
trastiert er in der «Steilküste bei Dieppe» der Vereini- 
gung Zürcher Kunstfreunde den massiv plastischen 
Felskopf mit dem rechts tief unten am Fuss des stel- 
len Absturzes liegenden Strande und dem bis in die 
weitesten Fernen in irisierenden Tönen ruhenden 
Meer. 
In der «Chaumie&re normande»’ der Sammlung Wolf, 
die anscheinend im Herbst 1885 in der Nähe von 
Etretat entstand, kommt diese Problematisierung der 
Komposition trotz des zunächst eher harmlos 
erscheinenden Motivs in dem Teich im Vordergrund 
zur Geltung: Offensichtlich reizte Monet vor allem 
dieser intensiv blau reflektierende Wasserspiegel, 
dessen räumliche Entwicklung ambivalent bleibt. Im 
Bild wirkt er vor allem in der Fläche und unterstützt 
so die ornamentalen Schwingungen der Bäume, die 
Monet in diesen Jahren zunehmend kunstvoll ein- 
setzt.® Das leuchtende Blau, das den Himmel am 
unteren Bildrand aufscheinen lässt, seine Kontrastie 
rung mit dem starken Grün und die vermittelnden 
Rosa- und Gelbtöne erinnern an die Palette, die 
Monet ab 1884 für seine am Mittelmeer gemalten 
Landschaften verwendete;? die hier entdeckte
	        
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