Wir würden dem existentiellen Ernst der Kunst Bar-
lachs nicht gerecht, wenn wir in dem <«Flüchtling»
nicht auch eine Symbolfigur für das Schicksal zahl-
loser Menschen in Deutschland seit dem Ersten
Weltkrieg zu sehen vermöchten. Barlach und sein
breite Schichten unmittelbar ansprechendes Werk
wurde von den Nationalsozialisten geächtet, seine
Arbeiten aus der Öffentlichkeit verbannt. Dank dem
bereits 1931 von Wartmann erworbenen <Ekstatiker)»
blieb er im Kunsthaus stets gegenwärtig; später kam
die eindrückliche Maske Kollmanns als Geschenk
von Walther Feilchenfeldt dazu - Barlach schenkte
sie seinem wichtigsten Förderer, dem Kunsthändler
Paul Cassirer, dessen Firma Feilchenfeldt in der
Schweiz weiterführte. Mit vier Holzskulpturen und
einem Bronzeguss dürfte Zürich nach den Barlach-
Häusern in Güstrow und Hamburg heute die bedeu-
tendste Werkgruppe seiner Hand besitzen.
Claude Monet: Chaumiere normande
Um 1880 geriet die Bewegung des französischen
Impressionismus in eine gewisse Krise: Nachdem in
den sechziger Jahren die fünfundzwanzig- bis
dreissigjährigen Künstler ihre Aufgabe und mit der
Pleinair-Malerei einen Weg zu ihrer Lösung ge-
funden hatten, entstanden in den siebziger Jahren
ihre bereits von meisterhafter Sicherheit getragenen.
spontanen und frischen Landschaften, die bis heute
der Inbegriff eines impressionistischen Bildes ge-
blieben sind. Danach aber begann sich der innere
Zusammenhalt der Gruppe zu lösen; die regel-
mässigen gemeinsamen Ausstellungen setzten aus.
Während die schwächeren Mitglieder langsam
einem gewissen Schematismus verfielen, wurden
die bedeutenderen unzufrieden mit dem bisher
Erreichten und suchten nach einer strenger fundier-
ten, weniger leicht aus dem Pinsel fliessenden
Kunst: Renoir empfand nun die Vernachlässigung
der linearen Zeichnung zugunsten der Farbe als
grossen Fehler, Pissarro litt unter der offenen, spon-
tan auf die Stimmung eingehenden Pinselführung
und griff begierig den systematischen, von Seurat
entwickelten Pointillismus auf.
Auch in dieser Situation erwies sich Monet als der
Hauptmeister des Impressionismus, in dem er die
Krise durch eine folgerichtige Vertiefung der im-
pressionistischen Prinzipien selbst zu überwinden
trachtete. In dem Bemühen, einen bestimmten Stim
mungsmoment zu erfassen, wurde er immer an-
spruchsvoller; besonders in den an der normanni-
schen Küste gemalten Bildern ist die Vielfalt und
Differenziertheit der atmosphärischen Bedingungen
erstaunlich und erklärt seine Verzweiflung über das
wechselhafte Wetter, das kein Gemälde zur Voll-
andung kommen lasse. Er sucht in den zerklüfteten
UJfern und Felsformationen aber auch neuartige Bild-
motive, die eine den Wiesen und Bächen der Ile de
France fremde Spannung, ja gelegentlich fast etwas
Pathetisches in die Komposition bringen; so kon-
trastiert er in der «Steilküste bei Dieppe» der Vereini-
gung Zürcher Kunstfreunde den massiv plastischen
Felskopf mit dem rechts tief unten am Fuss des stel-
len Absturzes liegenden Strande und dem bis in die
weitesten Fernen in irisierenden Tönen ruhenden
Meer.
In der «Chaumie&re normande»’ der Sammlung Wolf,
die anscheinend im Herbst 1885 in der Nähe von
Etretat entstand, kommt diese Problematisierung der
Komposition trotz des zunächst eher harmlos
erscheinenden Motivs in dem Teich im Vordergrund
zur Geltung: Offensichtlich reizte Monet vor allem
dieser intensiv blau reflektierende Wasserspiegel,
dessen räumliche Entwicklung ambivalent bleibt. Im
Bild wirkt er vor allem in der Fläche und unterstützt
so die ornamentalen Schwingungen der Bäume, die
Monet in diesen Jahren zunehmend kunstvoll ein-
setzt.® Das leuchtende Blau, das den Himmel am
unteren Bildrand aufscheinen lässt, seine Kontrastie
rung mit dem starken Grün und die vermittelnden
Rosa- und Gelbtöne erinnern an die Palette, die
Monet ab 1884 für seine am Mittelmeer gemalten
Landschaften verwendete;? die hier entdeckte