Full text: Jahresbericht 1985 (1985)

det er emotionelle Ausdrucksgestik und wendet sich 
statt dessen der Untersuchung der grundlegenden Be- 
dingungen von Malerei zu. Als die Künstler der Mini- 
mal Art aus dem als verbraucht und unglaubhaft emp- 
fundenen Medium der Malerei auszubrechen und sich 
durch dreidimensionale Objekte neue künstlerische 
Möglichkeiten zu erschliessen suchten, setzte Ryman 
sich erneut intensiv mit diesem Medium auseinander. 
Das Werk «Counter», 1983 (Abb. 18), das als erstes 
Bild von Robert Ryman in unsere Sammlung kommt, 
wird, wie fast alle Werke Rymans, von der Farbe 
Weiss und dem Quadrat bestimmt. Diese Beschrän- 
<ung ermöglicht dem Künstler, die Grundlagen des 
Malens ohne Ablenkungen zu artikulieren. Die Farbe 
Weiss hat bei Ryman keinen symbolischen oder meta- 
physischen Wert, wie etwa bei Malewitch oder bei 
Piero Manzoni; das ist seiner Meinung nach die Sache 
einer früheren Generation gewesen. «Ich sehe mich 
nicht als jemand, der weisse Bilder macht, ich mache 
Bilder; ich bin ein Maler. Weisse Farbe ist mein Me- 
dium.»'® Für ihn ist Weiss neutraler als andere Farben 
Jınd am wenigsten von Assoziationen belastet. 
In «Counter» - wie meist bei Ryman steht der Titel 
nicht in Beziehung zu dem Bild, er erleichtert nur die 
Unterscheidung - setzt er sich mit allen Elementen 
auseinander, die Bestandteile eines Bildes sind und 
Disher als solche nicht genügend Beachtung gefunden 
haben. Er untersucht die Wirkung des Farbmaterials 
Öl auf dem Bildträger Fiberglas und wie sich diese 
beispielsweise von einem Auftrag von Öl auf Lein- 
wand, Papier, Holz oder Metall unterscheidet. Die 
Kombination gerade dieser beiden Materialien ermög- 
ılcht eine ganz bestimmte Malerei, nämlich einen 
gleichmässig glatten und wenig strukturierten Auftrag, 
der aber weniger glatt und glänzend ist, als es etwa 
Emaillack auf demselben Bildträger wäre. Allerdings 
hängt die Wirkung nicht nur von den verwendeten 
Stoffen ab, sondern in hohem Masse auch von der Art 
des Farbauftrags, ob Ryman beispielsweise mit brei- 
ten oder schmalen Pinseln, in einer oder in mehreren 
Lagen malt. «Es geht nie darum, was man malt, son- 
dern immer nur, wie man malt. Das ‚Wie” des Malens 
hat seit jeher das Bild - das Ergebnis - ausgemacht. 
(R. Ryman).'* In unserem Bild ist das warme, gelbliche 
Weiss in einem so gleichförmigen, ruhigen Duktus 
aufgetragen, dass keine Pinselspuren sichtbar sind. Ir 
der flachen Farbschicht ist lediglich die textilartige 
Netzstruktur des Fiberglases zu erkennen. An einiger 
transparenteren Stellen scheint das Grau des Unter- 
grunds hindurch, was dem Bild stellenweise eine 
leicht «wolkige>» Erscheinung verleiht. Die einzige deut 
lich sichtbare Strukturierung der matten Farbfläche 
besteht aus einer horizontalen Spur in der Bildmitte, 
die sich aus dem Aneinanderstossen der zwei Fiber- 
glasplatten ergibt, aus welchen sich der Bildträger zu 
sammensetzt. Auch diese Spur verliert sich immer 
wieder unter einer leichten Übermalung. Infolge der 
geringen Strukturierung beginnen dem Betrachter die 
Grenzen zu verschwimmen, und die widerstandslose 
Reflexion des Lichtes erzeugt ein fast schmerzliches 
Flimmern, in dem sich die Konzentration des Malvor- 
gangs als Intensität mitteilt. 
Grosses Gewicht legt Ryman auf die Beziehung zwi- 
schen Bildfläche und Rand. In unserem Bild geht die 
quadratische Farbfläche über der leichten weissen 
Grundierung nicht bis an die Bildränder, sondern lässt 
unterschiedlich breite Randstreifen stehen. Zwischen 
der äusseren, regelmässigen Quadratform und der 
freieren unregelmässig auslaufenden Binnenform wird 
auf diese Weise eine Spannung erzeugt, die den Ein- 
druck von Belebung und Sensibilität wachhält. An die 
ser Stelle liegt ein Spielraum für das Spontane, für die 
Entscheidungen, die erst während des Malens fallen 
und nicht vorher berechnet sind. Hier zeigt sich, wie 
wenig Rymans Kunst —- trotz seiner Bevorzugung des 
Quadrats - den konstruktivistischen Tendenzen oder 
den strengen geometrischen Formen der Minimal Arı 
zuzuordnen ist. «Ich arbeite eher gefühlsmässig. Ich 
meine, ich mache die Dinge, indem ich meiner Intui- 
tion nachgehe, weil ich einfach das Gefühl habe, dass 
sie berechtigt ist - viel eher, als dass ich sie Im voraus 
zu rechtfertigen versuche. ® 
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Bilder Rymans 
ist ihre Aufhängung und die Wechselwirkung von Bila 
%
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.