Teile seines eigenen Körpers, das heisst, anstelle des
Körpers selbst stellte er dessen Hülle dar, fertigte er
Hohlformen an.
Nauman führte nach unserer Zeichnung ein gleichna-
miges Gipsmodell von 2 m Durchmesser aus, das auf
schmalen Hozkeilen ruht, so dass es leicht vom Boden
abgehoben ist. Der dadurch erzeugte Zustand des
Schwebens, der bereits in unserer Zeichnung spürbar
‚st, eignet fast allen Tunnelprojekten. Eine direkte Be-
ziehung !ässt sich zu den 1978 und 1980 entstandenen
Fiberglasmodellen aus der Sammlung Crex in den
Hallen für Neue Kunst Schaffhausen herstellen.® Die
meisten Elemente in diesen fragil wirkenden und
ebenfalls schwebend gelagerten Werken weisen drei-
eckige Querschnitte auf, die sich nach verschiedenen
Seiten öffnen. Eine besonders enge Verbindung hat
unsere Zeichnung zu dem Objekt «Ohne Titel» von
1980°, in dem ebenfalls «Tunnel und «Graben, mit je-
weils dreieckigem Querschnitt einmal als geschlos-
sene und zum anderen als offene Form aneinander-
stossen, allerdings ergänzen sich die Kreissegmente
nicht zu einem Ring, sondern liegen übereinander.
Spezielles Interesse erweckt in unserem Zusammen-
hang der wie ein «Schacht» anmutende gerade Teil,
dessen «verdrehten» Formen man nur langsam auf die
Spur kommt. Dadurch, dass die Querschnitte wech-
selweise fliessend von einem Dreieck in ein Rechteck
übergehen, entsteht eine «verzogene) Gratlinie, die be-
reits auf den «skewed tunnel unserer Zeichnung vor-
ausweist. Mit diesen komplizierten Formen, die immer
wieder unsere auf Erfahrung beruhende Wahrneh-
mung irritieren, hält Nauman die Phantasie des Be-
trachters in Gang und ermöglicht ihm, die Dinge neu
zu sehen. Der Künstler, der sich unter anderem mit
Wahrnehmungstheorie und Verhaltenspsychologie be-
schäftigt hat, sieht im «Wegnehmen von Information»
ein Mittel zur Steigerung ungewohnter Wahrnehmung:
Was mich interessierte, war, dass Kunst im allgemei-
nen Information zu einer Situation hinzufügt, und es
erscheint einleuchtend, dass man auch imstande sein
sollte, Information von einer Situation zu entfernen
und daraus Kunst zu erhalten.» Durch Ausschalten
von äusseren Realitätselementen gelingt es ihm.
Räume zu schaffen, In denen man sich auf sich selbst
konzentriert, in denen ein «Gewahrwerden von sich
selbst» (Bruce Nauman) möglich wird. Im Gegensatz
zu den anonymen Strukturen der Minimal Art bringt
Bruce Nauman Erfahrungen ein, die er mit sich selbst
und mit seinem Körper gemacht hat, um entsprechen-
de Situationen und Modelle zu schaffen, in denen der
Betrachter an diesen Erfahrungen teilhaben kann. Aus
dem Performance-Korridor von 1969, den er für seine
Performances vor einem Publikum verwendete, ent-
wickelte er Korridore, in denen das Publikum selbst
seine eigenen Erlebnisse haben kann. Seine Kunst hat,
wie er sagt, mit «der Gestalt als Gegenstand oder...
der Gestalt als Person zu tun und mit den Dingen, die
mit jemandem in verschiedenen Situationen gesche-
hen - mit den meisten Leuten, nicht nur mit mir oder
jemand Bestimmtem.® In den engen Korridoren und
bei dem oft überhellen, einfarbig ausgefilterten Licht
können die Erlebnisse auch beklemmend, sogar er-
schreckend sein. Nauman hat sich immer für die
Schwelle interessiert, «die zwischen dem Gefühl des
Wohlseins oder der Beherrschung des eigenen Rau-
mes und dem ‚Verlust der Beherrschung” liegt? Die
unterirdischen Tunnel sind ebenfalls als Stätten physi-
scher und psychischer Erfahrungen gedacht.
Im Gegensatz zu dem Modell, das von aussen gese-
hen wird und bei dem sich der Betrachter in der Rolle
des Überlegenen befindet, verdeutlicht der Tunnel die
Ansicht von innen, wo der Betrachter der Ausgesetzte
ist. Da die Projekte nicht ausgeführt sind, bleiben Ge-
fühle von Isolation, Ausgesetztsein, Zuflucht oder
Schutz allerdings in der Welt der Vorstellung.
Ebensowenig wie Nauman ist auch der 1930 in Nash-
ville/Tennessee geborene Robert Ryman mit den Be-
griffen Minimal Art, Process Art oder Conceptual Art
zu fassen. Bei seinen Bildern geht es ebenfalls um die
3ewusstmachung und Differenzierung des Wahrneh-
mens," nur sind für ihn nicht mehr psychologische
Komponenten wichtig. In Reaktion auf den Abstrakten
Expressionismus, von dem er noch in seinen ersten
Bildern aus den fünfziger Jahren geprägt war, vermei-
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