Full text: Jahresbericht 1986 (1986)

PAUL GAUGUIN 
LE BOL BLANC 
Die achte und letzte Gruppenausstellung der Impres- 
sionisten fand vom 15. Mai bis zum 15. Juni 1886 statt, 
der Zeit, in der die Pfingstrosen blühen und unser 
Bild entstand. Gauguin wohnte in einem schäbigen 
Zimmer in Paris, während seine Frau sich und die Kin- 
der in Kopenhagen mit Sprachunterricht durchzubrin- 
gen suchte. Nur sein Freund und dilettierender Kollege 
Emile Schuffenecker unterstützte ihn; er erwarb das 
Stilleben und von ihm gelangte es über den Zürcher 
Händler Tanner zu den Eltern der Kunstfreundin, deren 
Grosszügigkeit wir das Gemälde zu danken haben. 
Wenig später, im Juli 1886 zog Gauguin zum ersten 
Mal nach Pont Aven und lernte Emile Bernard und, im 
November, van Gogh kennen, Freundschaften, die 
vom Impressionismus weg und zur Entwicklung ganz 
neuer Formprinzipien führten. Im gleichen Sommer 
entstand auch van Goghs «Malven» im Kunsthaus: nur 
zwei Jahre später werden die beiden Künstler in Arles 
Sonnenblumen malen. 
im Verlaufe der achtziger Jahre geriet der Impressio- 
nismus in seine Krise. Bereits die siebte gemeinsame 
Ausstellung 1882 kam nur noch unter Schwierigkeiten 
zustande: bei der letzten fehlten schliesslich die bei- 
den wichtigsten Vertreter, Renoir und Monet. Der Elan 
des Beginnens, des Entdeckens des farbigen Reich- 
tums der atmosphärischen Naturerscheinungen war 
verflogen; die Künstler begannen zu zweifeln, ob das 
spontane, frische Festhalten eines Stimmungsein- 
druckes genügt, ob sich das duftig lockere Pinselwerk 
wirklich zu einem Bild, das hält, fügt. Auch die ästhe- 
tischen Grundlagen gerieten ins Wanken; in dem avant- 
gardistischen Literaten- und Kritikerzirkeln löste der 
Symbolismus den Naturalismus als führende Denkrich- 
tung ab. Eine neue Künstlichkeit wurde gefordert; nicht 
mehr die Wiedergabe äusserer Impressionen, Son- 
dern die Gestaltung innerer Wirklichkeiten war ge- 
wünscht. 
Auf diese Schwierigkeiten reagierten die Künstler unter- 
schiedlich. Renoir etwa wandte sich dem Studium der 
grossen Tradition französischer klassischer Malerei zu, 
eine Auseinandersetzung, die zu den klaren Formen der 
grossen «Baigneuses) in Philadelphia führte. Entwick- 
lungsgeschichtlich wichtiger waren die streng formali- 
stischen, quasi wissenschaftlichen Untersuchungen 
von Signac und Seurat, die in dessen «Un dimanche 
apres midi a Ile de la Grande Jatte», dem beherrschen- 
den Bild und Skandalerfolg der letzten Impressionisten- 
Ausstellung, gipfelten. Hier schien die doppelte For- 
derung nach einer Wiedergabe des äusseren Farb- und 
Lichteindrucks und nach einer eigengesetzlich in sich 
fest gefügten Kunst erfüllt. Pissarro, der schon Cezanne 
und Gauguin verständnisvoll begegnete und sie mass- 
geblich gefördert hatte, ermöglichte den «Neoimpres- 
sionisten) die Teilnahme an der Ausstellung und über- 
nahm vorübergehend ihre charakteristische <pointil- 
listische) Technik. Obwohl sich Gauguin später sehr ab- 
fällig über diese Richtung äusserte, stand er im Win- 
ter 1885/86 mit ihr in Kontakt. 
«Le bol blanc» ist Ausdruck dieser künstlerischen Situa- 
tion. Das pointillistische Verfahren, die Wirkung aus klei 
nen Partikeln reiner Spektralfarben aufzubauen, wird 
zwar keineswegs systematisch übernommen; es macht 
sich aber, besonders im Spiegelbild, unübersehbar gel- 
tend. Oben links etwa durchdringen kurze senkrechte 
und waagrechte rote und grüne Striche den blassblauer 
Fonds. Bei detaillierter Betrachtung erweist sich die 
ganze Bildfläche als ein Gewebe von immer wieder 
anders kombinierten feinmaschigen Farbstrukturen. Im 
Gegensatz zum Impressionismus und seinem locker 
impulsiven Pinselwerk bleibt das Gefüge gleichmässig 
dicht und steht ganz im Dienst der Farbflächen und 
ihrer Modulierungen. Entsprechend kommen vor allem 
koloristische Werte zur Geltung, während die sinnliche 
Oberfläche der Dinge weniger interessiert, So gleichen 
sich rechts die Päonien den Blumen des Tapetenmu- 
sters an, während links das orange Viereck seinem 
gegenständlichen Inhalt nach einigermassen rätselhafi 
bleibt. Dieser intensive Rot-Ton, der im Tuch durch ein 
scharfes Gelbarün kontrastiert gesteigert wiederkehrt, 
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