Full text: Jahresbericht 1986 (1986)

CONSTANTIN BRANCUSI 
PHOTOGRAPHIEN VON SKULPTUREN UND ATELIER 
Brancusis Werk erlebt zurzeit, als bedürfte es weiterer 
Beglaubigungen seiner Bedeutung für die Kunst des 
20. Jahrhunderts, eine Fülle dickleibiger, bestdokumen- 
tierter Publikationen. Vor einem Jahr erschienen Mono- 
graphien von Radu Varia und Pontus Hulten, letztere 
mit einem Werkverzeichnis, und noch in diesem Früh- 
jahr soll ein dritter Band (ebenfalls mit Werkkatalog) 
nachfolgen.! Es sind bald dreissig Jahre vergangen, seit 
die bis anhin gültige Darstellung von Carola Giedion- 
Welcker 1958, ein Jahr nach dem Tod des Künstlers, 
veröffentlicht worden ist. Der Bildteil dieses Buches 
wird mehrheitlich von Brancusis eigenen Aufnahmen 
bestritten. Die Autorin begründete dies im Vorwort: 
«Diese Photographien, mit einem technisch unvollkom- 
menen Apparat gemacht, sind Kunstwerke ersten Ran 
ges und darüber hinaus wertvolle Zeugnisse für die 
eigene Einstellung des Bildhauers zu seinem (Euvre. 
Sie führen uns direkt zu Brancusis Interpretation hin. 
Ihre psychische, ebenso wie räumliche Kraft teilt sich 
hierbei dem Beschauer intensiv mit. Wir empfangen 
das Werk unmittelbar so, wie Brancusi es empfand und 
auch vermitteln wollte — aus der unverfälschten Ein- 
stellung und Deutung ihres Schöpfers».? Bereits in 
ihrem historischen Überblick «Moderne Plastik) (1937) 
hatte Brancusi eine zentrale Stellung eingenommen. 
Wohl aufgrund dieser Verbundenheit schenkte der 
Bildhauer kurz vor seinem Tod Frau Giedion jene Origi- 
nal-Abzüge, deren Grossteil im Buch Verwendung 
fanden und die er selber als repräsentative, gültige 
Auswahl betrachtete. Als Geschenk von Frau Verena 
Clay-Giedion und Herrn Prof. Andres Giedion sind im 
Andenken an ihre Mutter nun insgesamt 84 von Bran- 
cusi selber hergestellte Abzüge und zwei Kopien nach 
Originalphotos in unsere Sammlung gelangt, womit 
das auf zwei Skulpturen beschränkte, und mit eigenen 
Mitteln kaum ausbaubare bildhauerische Schaffen 
Brancusis eine Ausweitung erfährt, die weit mehr be- 
deutet als eine Dokumentation. 63 Photos waren be- 
reits 1976 in Zusammenarbeit mit der Stiftung für die 
Photographie im Kunsthaus zum 100. Geburtstag ausge 
stellt gewesen. Den Katalog hat Jürgen Partenheimer 
verfasst, der über «Die Skulptur Brancusis in der Deu- 
tung seiner Fotografie» dissertierte.? Das Kunsthaus 
Zürich beabsichtigt, in regelmässigen zeitlichen Interval 
'en von 3-5 Jahren in der Sammlung grössere Werk- 
gruppen der Photographien im Zusammenhang mit <La 
Muse endormie Ib (1922) und «Der Vogel im Raum» 
(1931) zu zeigen. 
Das Werk Brancusis hat zweifellos eine stark transzen- 
dentale Ausstrahlung, und wie er seine Steine bis zu 
absoluter Vollkommenheit schliff und seine Bronzen hin 
gebungsvoll polierte, so bedeutete ihm die Photogra- 
phie ein zusätzliches Mittel, seine plastischen Visionen 
über den Tod hinaus auch in Form von Reproduktio- 
nen nach seinen eigenen Intentionen, Stellungen, Aus- 
schnitten, Raumbeziehungen oder Beleuchtungen zu 
bestimmen. Wie sehr sich Bildhauer um die Probleme 
der Reproduzierbarkeit ihres Werks gekümmert haben, 
zeigen in jüngster Zeit Studien zu Rodin oder Medardo 
Rosso, und wenn auch Alberto Giacometti selber nicht 
photographiert hat, blieb ihm das zweidimensionale 
Erscheinungsbild seiner Figuren nie gleichgültig. Die 
vielfältigen Aspekte dieses für die Dokumentation, aber 
auch die häufig in Abwesenheit der Originale verfass- 
ten (Fehl-)Interpretationen plastischer Werke so wichti- 
gen Verhältnisses der Medien sind erstmals von Hein- 
rich Wölfflin 1896 und kürzlich zusammenfassend in 
‚Pygmalion Photographe» des Genfer Cabinet des 
astampes erörtert worden.“ Ein Vergleich der mit eige- 
1en Aufnahmen ausgestatteten Veröffentlichungen 
zu Lebzeiten des Künstlers, etwa von Ezra Pound 1921 
oder der ersten Monographie von V. G. Paleolog 1947 
mit durch neuerstellte Farbaufnahmen illustrierten Jüng- 
sten Monographien zeigt ganz deutlich, wie die Kraft 
des Materials, aber auch die überwirkliche Erscheinung 
seiner Skulpturen in den eigenen, häufig technisch 
unzulänglichen Studien ungleich überzeugender zum 
Tragen kommen. Die Übersetzung der Dreidimensio- 
nalität von Skulpturen wie der Räumlichkeit des Ateliers 
'n den «Naturalismus» der Farbabbildung rückt Brancu- 
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