Full text: Jahresbericht 1986 (1986)

ration mit Ausnahme von Mondrian leider nur schwach 
vertreten ist. Ob hier in Anbetracht der uns zur Ver- 
fügung stehenden Mittel und der Seltenheit bedeuten- 
der Werke auf dem Kunstmarkt Abhilfe geschaffen 
werden kann, muss an dieser Stelle offen bleiben. Dass 
jedoch mit der Verwendung des Fonds für den Erwerb 
von Werken der geometrisch-konstruktiven Kunst der 
Ausbau dieser Abteilung nicht abgeschlossen Ist, ist 
beinahe eine Binsenwahrheit. Denn jede gewichtige 
Sammlungsabteilung sollte, um lebendig zu bleiben, 
weiter ausgebaut werden können. In diesem Sinne 
bleibt das Ziel bestehen, das bereits in dem vom Stadt- 
rat angeforderten Reglement 1983 formuliert worden 
ist: 
«Das Wirken der bedeutenderen in Zürich tätigen kon- 
struktiven Künstler soll so gezeigt werden können, dass 
eine lückenlose Dokumentation über die verschiede- 
nen Recherchen dieser Künstler gewährleistet Ist. 
Gleichzeitig soll anhand ausgewählter qualitativ mög- 
lichst hochstehender Werke aus dem internationalen 
Bereich konstruktiver Kunst der historische Stellen- 
wert der Zürcher Gruppe erfasst werden können.) 
Ich bin überzeugt, dass diese Zielsetzungen In Anbe- 
tracht der heutigen Situation, da die Stiftung für kon- 
struktive und konkrete Kunst Wirklichkeit geworden ist, 
ihre Gültigkeit behält. Da diese Stiftung Aufgaben 
übernimmt, die die Möglichkeiten des Kunsthauses 
übersteigen, z. B. die Verwaltung mehrerer Künstler- 
nachlässe, ist eine sinnvolle Arbeitsaufteilung nicht 
nur möglich, sondern erwünscht. Zu dieser Aufteilung 
gehört zweifellos, dass im Kunsthaus stets eine re- 
präsentative Sammlung konstruktiver Kunst zu sehen 
ist, dass die Stiftung auf der andern Seite ein Ort sein 
kann, der sich in noch vermehrtem Mass für Detail- 
studien im Sinne eines Dokumentationszentrums an- 
bietet. Es ist und bleibt Aufgabe des Kunsthauses, 
die konstruktive Kunst in einer straffen und präzisen 
Auswahl darzustellen und mit den Hauptströmen der 
künstlerischen Entwicklungen unseres Jahrhunderts 
in Beziehung zu bringen. 
Felix Baumann 
JEAN TINGUELY 
LE CYCLOGRAVEUR, 1960 
Der «Cyclograveun entstand im offiziellen Gründungs- 
jahr des «Nouveau Realisme» für einen langen Umzug, 
der am 13. Mai 1960 von Tinguelys Atelier in der Im- 
passe Ronsin durch die Strassen von Paris zur Rue de 
Grenelle in die «Galerie des 4 Saisons» führte. Ein 
Kunsttransport? Eine Prozession? Die Vorbereitungen 
des Umzugs wie die Überführung der Maschinen auf 
speziellen Fahrgestellen (hat der Künstler der Fahr- 
tüchtigkeit seiner Konstruktionen misstraut?) sind be- 
stens dokumentiert: der «Cyclograveurn wurde von 
YHorst Rüdiger bedient, Tinguely selber während der 
an die Basler Fasnacht erinnernden Parade auf dem 
Boulevard Montparnasse von der Polizei eingesteckt. 
Trotzdem kam alles gut an und wurde für eine Woche 
im Licht von starken Scheinwerfern mit Schattenspie- 
len auf den Wänden (wie später, auch im Kunsthaus 
Zürich 1982) inszeniert. Ein schmales Völklein hat die 
Ausstellung überhaupt gesehen - wichtiger war wohl 
das Happening des Transports, das in die Annalen 
des «Nouveau Realisme, einging. Und zurück blieb 
unter anderem eines der Hauptstücke des «klassischen 
Tinguely, das der Künstler der Sammlung des Kunst- 
nauses in Erinnerung an seine spektakuläre Ausstellung 
nun zum Geschenk machte. 
Der «Cyclograveun ist eine jener rostigen Schrottma- 
schinen, in denen Tinguelys Parodie der Industriekultur 
wie des Kunstbetriebs besonders augenfällig ist. Eine 
fragile Antimaschine, die entgegen allen Erwartungen 
doch läuft, mit ihren eigenen rhythmischen Geräuschen 
und via Trommel und Zimbeln eine Art Trivialmusik 
(wie das «Relief sonore Iı des Kunsthauses) und gar 
noch Kunst produziert, indem via ein Fahrradgetriebe 
ain Stahlstichel auf eine schwarz bemalte Pavatexplatte 
Strukturen <eingravierb, die den Tachismus imitieren. 
Die Ironisierung dieser damals in Paris noch immer füh- 
‚enden Strömung hatte mit einer ganzen Reihe von 
‚Metamatics)» eingesetzt, nur wurden diese Zeichenma- 
schinen von Jahr zu Jahr grösser und komplizierter. 
hr
	        
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