ZU DEN ZEICHNUNGEN UND AQUARELLEN
VON MARKUS RAETZ
Die Ausstellung von Markus Raetz in unserem Hause,
die einen Überblick über sein Schaffen von den frühen
sechziger Jahren bis 1986 bot, gab uns Gelegenheit,
die eigenen Bestände mit wichtigen Werken des Künst
lers zu ergänzen. Markus Raetz war nicht nur bereit,
uns neuere Arbeiten und eine zweiteilige Pinselzeich-
nung von 1973 zum Kauf zu überlassen, er schenkte
dem Kunsthaus ausserdem eine Gruppe von zehn aus-
sergewöhnlichen Zeichnungen und Aquarellen aus
den Jahren 1970 und 1971. Die Neuerwerbungen konn-
ten zusammen mit Raetz im Hinblick auf eine formale
und inhaltliche Verbindung zu den bereits früher gekauf
ten Zeichnungen des Kunsthauses ausgewählt werden
Denn unsere Ausstellung hatte wieder einmal deutlich
gemacht, dass die Zeichnungen von Raetz nicht so
sehr als Einzelblätter zu sehen sind, sondern erst im Zu-
sammenhang mit thematischen und formalen Reihen
ihren vollen Sinn ergeben. Er selbst liebt es, in Ausstel-
lungen den Fluss der Arbeit eines Monats oder eines
Jahres zu zeigen, wobei die Zeichnungen jeweils mit
dem Tag der Entstehung und der jeweiligen Nummer
des Tages datiert sind, so dass die Abfolge genau
rekonstruiert werden kann.!
Die bereits im Besitz des Kunsthauses befindliche
Zeichnung «Landschaft» vom 7. Oktober 1970 (Z.Inv.
1979/45) bildet den Ausgangspunkt für ein Thema, das
Raetz zeit seines Lebens beschäftigt hat: das Schwe-
ben und das Fliegen. Liegen in unserer «Landschaft, die
kleinen kugelförmigen Objekte noch leicht auf dem
wolkigen Grund auf, so heben sie sich in dem neuen
Blatt «Fliegen» vom 1. November 1970 wie Bälle nachein-
ander vom Boden ab und fliegen in einer regelmässi-
gen Reihung, die den Bewegungsablauf evoziert, all-
mählich empor.2 Den Eindruck des Schwebens erzielt
Raetz vor allem mit den deutlich markierten Schlag-
schatten, wobei die banalen Gegenstände — die <«böueli
— infolge des fehlenden Grössenmassstabes und durch
die Hinzufüauna des dandschaftlichen» Umfeldes mit
einem Horizont zu rätselhaften Objekten verfremdet
werden. Verstärkt wird diese Wirkung —- ähnlich wie in
den anderen dazugehörigen Zeichnungen® - dadurch,
dass die Dinge aus einer grossen Höhe gesehen zu
sein scheinen. Raetz erzählt, dass er damals von Satel-
litenaufnahmen mit Spionagephotos militärischer An-
lagen in den Zeitungen angeregt worden sel. Ihn inter
essierte dabei auch, Räumliches mit Hilfe von Licht
und Schatten zu definieren.* Das Verfremden von All-
tagsobjekten begegnet auch in zwei anderen Zeich-
nungen, in Zentrum» vom 16. November 1970 (Abb.
Nr. 15) und in <«Objet trouve volant peint» vom 15. Januar
1971. In der ersteren war der Ausgangspunkt ein Knopf
in einem Kissen, das Raetz dermassen in die Distanz
rückt, dass es unerwartete Dimensionen annimmt und
den Eindruck einer von oben gesehenen Kraterland-
schaft hervorruft. «Fernsicht und Nahsicht treffen sich
in einem magischen Schnittpunkt. Die Rillen, die auf
das Zentrum hinführen, könnten durch ein Magnetfeld
entstanden sein. Der „Knopf“ wird „kultisches Zen-
trum“».5 In der zweiten Zeichnung ist der Vorwurf ein
Holzobjekt, das seine Frau Monika am Strand von Car
boneras gefunden hatte. Wiederum wird durch die
Hinzufügung eines zart aquarellierten Horizonts und
eines Schlagschattens das Objekt zum Schweben
gebracht, wobei es mit seinen «Nagelantennen) von
unerklärlichen Kräften aesteuert zu werden scheint.6©
Aus dem Motiv des Schwebens und Fliegens entwik-
keit Raetz das Thema des «schnellen Sujets>. In mehre-
ren Zeichnungen wird die rasche Bewegung mit kur-
vigen Linienschwüngen suggeriert. In der 1977 gekauf-
ten Zeichnung des Kunsthauses vom 14. Dezember
19707/1, die offensichtlich die erste dieser Reihe ist,
fliegen noch einige durch die Bewegung aufgewirbelte
Splitter empor, so dass man geradezu ein Klirren zu
vernehmen meint.’ In den darauffolgenden Blättern
desselben Tages sind diese Versatzstücke weggefallen
und die Bewegung des «schnellen Sujets>», das um eine
Hausecke rast und, bevor man es sehen kann, schon
wieder jenseits des unteren Bildrandes verschwunden
ist, wird lediglich als solche durch die an- und ab-
schwellenden Wellenlinien verbildlicht. 8 (Vergleiche
410°