das Bild in «Reissnägeb, 1971, Abb. Nr. 15.)% Angeregt
zu diesem bildnerischen Mittel wurde Raetz durch die
Comic-Strips, die in Amsterdam, wo er von 1969 bis
1973 lebte, in den Cafes auf den Tischen lagen und die
er dort viel angeschaut hat. In einer Collage von 1971
hat er solche Comics, in denen z. B. Donald Duck mit
Vrroum') um die Ecke fegt, direkt als Bildmaterial ver-
wendet.'0 Raetz weist darauf hin, dass dies für ihn
mit dem Eindruck der ostasiatischen Kunst zusammen-
fiel, von der ja auch die Comics viel gelernt haben.
«Die Konturzeichnung und diese ganz sparsame Kom:
Dosition hätte ich sonst gar nicht machen können,
Deides hat als Anregung gedient.»* Amsterdam bietet
für den Liebhaber chinesischer und Japanischer Kunst
reiches Anschauungsmaterial, nicht nur in den Mu-
seen, sondern auch in den Buchhandlungen, Galerien
und sogar in den chinesischen Restaurants.
Besonders deutlich kommt dieser Einfluss in Raetz’
grossem zweiteiligen Blatt «Ohne Titel» vom 19.-22.7.
1973 zum Ausdruck (Abb. Nr. 14). Die auf dem Boden
entstandene Tuschzeichnung, die - obwohl aus zwei
Blättern bestehend - von Anfang an als Gesamtkom
vosition geplant war, evoziert eine Landschaft mit
3ergen, Wasserfällen, Bächen und Steinen. Sie baut
sich in der Art chinesischer Tuschbilder in vertikaler
Richtung auf und ist nicht mehr mit einer einheitlichen
Zentralperspektive nach hinten in die Tiefe zu lesen,
sondern bietet dem Betrachter verschiedene Blick-
punkte an. Im Gegensatz zu dem einäugig fixierenden
Sehen des Europäers identifiziert sich der Betrachter
aines chinesischen Landschaftsbildes mit den sich
darin befindlichen kleinen Figuren, um mit ihnen gleich-
sam die Komposition zu durchwandern. Der Ostasiate
will nicht nur den Teil einer Landschaft wiedergeben,
den man von einem bestimmten Standpunkt aus sehen
<ann, sondern für ihn ist das Bild Fragment eines gros-
sen Zusammenhanges und muss unter dem Aspekt
der umfassenden Einheit gesehen werden, zu der auch
der Betrachter gehört. Diese Auffassung kam Raetz
sehr entgegen, und es ist aufschlussreich, dass er in
eine sechs Tage früher entstandene, ähnliche Land-
schaftszeichnung am rechten unteren Bildrand zwei
Menschenfiguren zum <Einsteigen in das Bild) hinein-
gezeichnet hat.!! Ihn hat immer interessiert, verschie-
dene Standpunkte in einem zu sehen, um einer ein-
engenden Einseitigkeit zu entgehen. «Es gibt nichts,
was nicht auch etwas anderes ist», lautet seine Devise
Veranschaulichung von Bewegung kann als Titel sei-
ner Kunst gesetzt werden, schreibt Bernhard Bürgı.
‚Das Leben ist die Bewegung - Bewegung als die
innere Kraft, die alles antreibt? ... Seine Lebenshaltung
wehrt sich gegen Verhärtungen, entzieht sich jeder
Dogmatik und Ideologie, macht alles als nicht abge-
schlossen und endgültig durchschaubar. Alle Werte
sind im Fliessen oder das Gültige ist nur zu erahnen
und nicht zu begreifen. Gewiss ist lediglich, dass nichts
gewiss ist. Raetz akzeptiert jeden Standpunkt als rela-
tiv: „It AIN’T NECESSARELY SO“ (X, ohne Dat.)). 12
Ähnlich wie Hokusai, den er aufmerksam studiert hat,
ornamentalisiert Raetz mit den an- und abschwellender
Wellenlinien die Naturformen der Berge, des Wasser-
falls und des aufspritzenden Wassers, wobei er die
dabei entstehenden Bläschen ebenfalls durch kleine
Punkte und Kringel verbildlicht.'® Auch architektonische
Elemente, Maschinenartiges, Pflanzen und Gesichter
können in diesem Linienspiel entdeckt werden. Bei
Hokusali reizt Raetz besonders, dass er mit seiner orna-
mentalen Wasserdarstellung die Bewegung visualisiert
im Gegensatz zum Photo, das nur einen Augenblick
aus einem Bewegungsablauf festhalten kann und da-
durch viel statischer wirkt. In der Zeit hat sich Raetz
auch alte Niederländer angesehen, zum Beispiel Hercu
'es Seghers oder Gerrit Adriaansz. de Heer (1634-52)
Letzterer habe ganze Landschaften und Jagdszenen
aus ornamentalen Strichen zusammengesetzt und mit
Schnörkeln, Häkchen und Pünktchen wie zusammen-
gestrickt.
Raetz beginnt seine Zeichnungen oft mit über das
ganze Blatt verstreuten Zeichen, die sich mit der Zeit
verbinden. Manchmal bringt er auch mit einem mit
verdünnter Tusche getränkten Lappen einen Bewe-
Jungsstrom ins Blatt, den er anschliessend im Detail
ausmalt, oder er beginnt mit Flecken, die mit Hilfe