Full text: Jahresbericht 1986 (1986)

das Bild in «Reissnägeb, 1971, Abb. Nr. 15.)% Angeregt 
zu diesem bildnerischen Mittel wurde Raetz durch die 
Comic-Strips, die in Amsterdam, wo er von 1969 bis 
1973 lebte, in den Cafes auf den Tischen lagen und die 
er dort viel angeschaut hat. In einer Collage von 1971 
hat er solche Comics, in denen z. B. Donald Duck mit 
Vrroum') um die Ecke fegt, direkt als Bildmaterial ver- 
wendet.'0 Raetz weist darauf hin, dass dies für ihn 
mit dem Eindruck der ostasiatischen Kunst zusammen- 
fiel, von der ja auch die Comics viel gelernt haben. 
«Die Konturzeichnung und diese ganz sparsame Kom: 
Dosition hätte ich sonst gar nicht machen können, 
Deides hat als Anregung gedient.»* Amsterdam bietet 
für den Liebhaber chinesischer und Japanischer Kunst 
reiches Anschauungsmaterial, nicht nur in den Mu- 
seen, sondern auch in den Buchhandlungen, Galerien 
und sogar in den chinesischen Restaurants. 
Besonders deutlich kommt dieser Einfluss in Raetz’ 
grossem zweiteiligen Blatt «Ohne Titel» vom 19.-22.7. 
1973 zum Ausdruck (Abb. Nr. 14). Die auf dem Boden 
entstandene Tuschzeichnung, die - obwohl aus zwei 
Blättern bestehend - von Anfang an als Gesamtkom 
vosition geplant war, evoziert eine Landschaft mit 
3ergen, Wasserfällen, Bächen und Steinen. Sie baut 
sich in der Art chinesischer Tuschbilder in vertikaler 
Richtung auf und ist nicht mehr mit einer einheitlichen 
Zentralperspektive nach hinten in die Tiefe zu lesen, 
sondern bietet dem Betrachter verschiedene Blick- 
punkte an. Im Gegensatz zu dem einäugig fixierenden 
Sehen des Europäers identifiziert sich der Betrachter 
aines chinesischen Landschaftsbildes mit den sich 
darin befindlichen kleinen Figuren, um mit ihnen gleich- 
sam die Komposition zu durchwandern. Der Ostasiate 
will nicht nur den Teil einer Landschaft wiedergeben, 
den man von einem bestimmten Standpunkt aus sehen 
<ann, sondern für ihn ist das Bild Fragment eines gros- 
sen Zusammenhanges und muss unter dem Aspekt 
der umfassenden Einheit gesehen werden, zu der auch 
der Betrachter gehört. Diese Auffassung kam Raetz 
sehr entgegen, und es ist aufschlussreich, dass er in 
eine sechs Tage früher entstandene, ähnliche Land- 
schaftszeichnung am rechten unteren Bildrand zwei 
Menschenfiguren zum <Einsteigen in das Bild) hinein- 
gezeichnet hat.!! Ihn hat immer interessiert, verschie- 
dene Standpunkte in einem zu sehen, um einer ein- 
engenden Einseitigkeit zu entgehen. «Es gibt nichts, 
was nicht auch etwas anderes ist», lautet seine Devise 
Veranschaulichung von Bewegung kann als Titel sei- 
ner Kunst gesetzt werden, schreibt Bernhard Bürgı. 
‚Das Leben ist die Bewegung - Bewegung als die 
innere Kraft, die alles antreibt? ... Seine Lebenshaltung 
wehrt sich gegen Verhärtungen, entzieht sich jeder 
Dogmatik und Ideologie, macht alles als nicht abge- 
schlossen und endgültig durchschaubar. Alle Werte 
sind im Fliessen oder das Gültige ist nur zu erahnen 
und nicht zu begreifen. Gewiss ist lediglich, dass nichts 
gewiss ist. Raetz akzeptiert jeden Standpunkt als rela- 
tiv: „It AIN’T NECESSARELY SO“ (X, ohne Dat.)). 12 
Ähnlich wie Hokusai, den er aufmerksam studiert hat, 
ornamentalisiert Raetz mit den an- und abschwellender 
Wellenlinien die Naturformen der Berge, des Wasser- 
falls und des aufspritzenden Wassers, wobei er die 
dabei entstehenden Bläschen ebenfalls durch kleine 
Punkte und Kringel verbildlicht.'® Auch architektonische 
Elemente, Maschinenartiges, Pflanzen und Gesichter 
können in diesem Linienspiel entdeckt werden. Bei 
Hokusali reizt Raetz besonders, dass er mit seiner orna- 
mentalen Wasserdarstellung die Bewegung visualisiert 
im Gegensatz zum Photo, das nur einen Augenblick 
aus einem Bewegungsablauf festhalten kann und da- 
durch viel statischer wirkt. In der Zeit hat sich Raetz 
auch alte Niederländer angesehen, zum Beispiel Hercu 
'es Seghers oder Gerrit Adriaansz. de Heer (1634-52) 
Letzterer habe ganze Landschaften und Jagdszenen 
aus ornamentalen Strichen zusammengesetzt und mit 
Schnörkeln, Häkchen und Pünktchen wie zusammen- 
gestrickt. 
Raetz beginnt seine Zeichnungen oft mit über das 
ganze Blatt verstreuten Zeichen, die sich mit der Zeit 
verbinden. Manchmal bringt er auch mit einem mit 
verdünnter Tusche getränkten Lappen einen Bewe- 
Jungsstrom ins Blatt, den er anschliessend im Detail 
ausmalt, oder er beginnt mit Flecken, die mit Hilfe
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.