Full text: Jahresbericht 1986 (1986)

von Konturzeichnungen räumlich interpretiert werden. 
«Man zieht eine Linie, und sobald man etwas in Bezug zu 
hr setzt, entsteht ein Raum, den man dann mit be- 
nachbarten räumlichen Situationen verbinden kann.“ 
Es fasziniert ihn, was man mit der Linie, mit Pinseln 
verschiedener Dicke (meist sind es französische Aqua- 
rellpinsel) und mit wenig oder viel Druck machen kann. 
Die Linie wird ihm zu einem ganz persönlichen Aus- 
drucksmittel. Die Anregung durch vorgegebene Strich- 
oder Fleckenstrukturen ist nicht erst bei den Surrea- 
listen, vor allem bei Max Ernst, ein beliebtes Mittel ge- 
wesen, um die Phantasie in Gang zu setzen.** Raetz ist 
der Meinung, dass eine Methode, Farbe auf den Mal- 
grund zu setzen, plötzlich mit dem Gebrauch irgend- 
ainer Situation zusammenfällt; dass der Maler dadurch 
stimuliert wird, in ihm liegende Möglichkeiten zu sehen, 
die er sonst nicht finden würde. 
dient, um die von der Folie umhüllte Kugel von der 
anderen Seite zu zeigen (Abb. Nr. 15). Raetz geht es bei 
diesen Konturzeichnungen sehr oft darum, mit Hilfe 
von Überschneidungen eine räumliche Situation mit ein 
fachen Mitteln darzustellen. Man könne verschiedene 
-äumliche Bezüge schaffen, je nachdem, wie man eine 
Kontur ins Innere der Form ziehe, und das Davor und 
das Dahinter trete dadurch manchmal viel eindeutiger 
zutage als in der Photographie. Andererseits wird die 
Kugel nicht nur in dialektischer Weise gleichzeitig von 
oben und von unten, von aussen und von innen sicht- 
bar gemacht, sie verwandelt sich auch In ein Gestirn, 
in eine Sonne, die beim Untergehen ihre Strahlen aus- 
sendet. Das Licht mit seinen Ausstrahlungen hat Raetz 
immer gefesselt. In besonderer Beziehung steht zu 
diesem Thema das «Gesicht» vom 17.1.1971/7 (Abb. 
Nr. 15)6, in dem das linke Auge ein Lichtzentrum bildet. 
von dem aus die Strahlen in konzentrischen Schraffu- 
ven nach allen Seiten bis über die Bildränder hinaus 
gehen. Das rechte, zugekniffene Auge erinnert an 
ainige Zeichnungen von 1971, in denen Raetz das nach 
innen gerichtete Auge als Narbe, sozusagen als zuge- 
nähtes Auge, verbildlicht hat.!” Im Gegensatz dazu 
steht hier das weit geöffnete Auge, das Strahlen und 
Energielinien von innen nach aussen sendet. Das Auge 
also als Lichtorgan, als etwas Selbstleuchtendes. Wär 
nicht das Auge sonnenhaft, wie könnten wir das Licht 
arblicken?) Goethe zitiert dieses Gedicht des Mysti- 
kers Jakob Böhme im Zusammenhang mit seinen Aus- 
führungen über das Auge in seiner «Farbenlehre»: 
‚Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich 
das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde. 
und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, da- 
mit das innere Licht dem äusseren entgegentrete.»'8 
-ür Raetz ist das Auge Zentrum der Welt, und zwar 
sowohl der des Künstlers als auch der des Betrachters 
Am selben Tag zeichnete er kurz davor ein «Selbstpor- 
trät unter Wasser, in dem sich vom Auge aus Kreise 
ausbreiten. die das aanze Gesicht verwackeln. 9 
Im Anschluss an die seit 1979 in unserem Besitz be- 
#ndliche Zeichnung «Söiniggu> vom 13. Januar 1971, 
deren Gegenstand ein wurstartiges, weich sich über- 
stülpendes Objekt bildet, konnten wir bei den Neu- 
erwerbungen einige Zeichnungen aus der Serie der 
weichen Objekte auswählen, die als reine Konturzeich- 
nungen entstanden sind, welche zuweilen mit schwar- 
zen Flächen kombiniert wurden. Raetz arbeitete gleich: 
zeitig an einem Zeichentrickfilm mit sich verändern- 
den schwarzweissen Konturzeichnungen.’'® Am Strand 
von Carboneras hatte er einen Gummihandschuh ge- 
‘unden, der für ihn ein gutes Motiv war, um diese Art 
von Zeichnungen daran zu üben. Im Gegensatz zu 
dem physiognomischen Eigenleben der «Handschuhe» 
vom 14.5.1971 geht Raetz in den Zeichnungen eines 
arfundenen Gummituches dem durch das Material be- 
sonders weichen Faltenfall nach (Abb. Nr. 15, <«Fliegen- 
des Tuch», 1971). Im Frühjahr 1972 führte er dieses 
Thema weiter, indem er in grossen Pinselzeichnungen 
die Bewegung eines Tuches in der Geschwindigkeit, 
wie zum Beispiel beim Flattern, darzustellen versuchte 
Eine schwere Stahlkugel, die er in Amsterdam besass, 
inspirierte ihn zu der Vorstellung, dass diese in eine Die weitere Entwicklung von Markus Raetz dokumen- 
alastische Folie einsinke, die wie auf einem Rahmen tieren unsere 1977 gekauften «Dinten» von 1976 sowie 
gespannt wäre. wobei der rechteckige Einschnitt dazu die neu erworbenen Arbeiten von 1981, die beiden 
je
	        
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