Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

VIER WERKE DES INTERNATIONALEN 
KONSTRUKTIVISMUS 
Mit dem 1983 ins Leben gerufenen «Fonds für den Erwerb 
von Werken der geometrisch-konstruktiven Kunst» 
konnten bis 1986 die Werkgruppen der Zürcher Konkreten 
massgeblich ergänzt und Arbeiten von Künstlern der mitt- 
leren Generation neu erworben werden. Dass die interna- 
tionale Entwicklung, d.h. vor allem die Genese der geome- 
trisch-konstruktiven Kunst seit den achtziger Jahren in der 
Sammlung ebenfalls besser zur Geltung kommt, geht auf 
die Ankäufe etwa von Moholy-Nagy’s frühem Hauptwerk 
«LIS», 1922, und die «Komposition V», 1918, von Theo van 
Doesburg, auf Geschenke wie «Minuit», 1953, von Auguste 
Herbin, das Legat Fritz Glarner (1979) oder die Schenkung 
Anton Stankowski (1984) zurück. Von den Gründervätern 
und -müttern des Konstruktivismus waren vorher nur 
Johannes Itten (Begegnung, 1916), Sophie Taeuber (Trip- 
tychon, 1918), Piet Mondrian (Komposition I, 1925), Fried- 
rich Vordemberge-Gildewart (Konstruktion Nr. 7, 1924), 
Frank Kupka (Langage vertical, 1926) und Georges Vanton- 
gerloo (Relation de lignes, 1938) mit repräsentativen Einzel- 
werken sowie Josef Albers mit einer Werkgruppe, 
vertreten gewesen. 
Dank Geschenken zum Jubiläumsjahr erfährt nun dieser 
Bestand eine reiche Ergänzung. Neben vier zu bespre- 
chenden «Hauptstücken» sind dies drei weitere Ölbilder 
von Schweizer Künstlern (Jean Baier, Max Bill, Walter 
Bodmer) und ebensoviele Zeichnungen (Camille Graeser, 
Johannes Itten, Richard P. Lohse). 
Vier konstruktive Künstler aus drei Ländern: ein weltbe- 
rühmter Holländer, Piet Mondrian, geb. 1872, ein unbe- 
kannter Ungar, Vilmos Huszar, geb. 1884, und zwei 
Deutsche, Willi Baumeister, geb. 1889, mit Friedrich 
Vordemberge-Gildewart, geb. 1899. Weil vor der Jahrhun- 
dertwende geboren, zählen sie alle zur ersten Generation 
geometrisch-konstruktiver Künstler. 
Das am frühsten datierte Werk aus dem Quartett nennt 
sich vorsichtig «Dreidimensionales Objekt». Vilmos 
Huszar, seit 1908 in Holland lebend, hat das Holzkästchen 
ın den Jahren 1916/17 hergestellt. Es ist allseitig mit weiss 
bemaltem Papier kaschiert und mit eingefärbten Papier- 
stücken beklebt. Die Masse, insbesondere die Tiefe von 
8,5 cm, verweisen auf einen ursprünglichen Gegenstand 
zum täglichen Gebrauch. Auf der rechten Seitenwand ist 
ein kaum mehr lesbarer Schriftzug ins Holz geprägt, der 
einen Namen aus dem Bereich der Medizin suggeriert.! Das 
Entscheidende ist jedoch das Entstehungsjahr, wohl 1917. 
Huszar gelangte über seine intensive Beschäftigung mit 
Glasfenstern im Jahr 1916 endgültig zur Abstraktion.? 1917 
gehörte er mit Theo von Doesburg, Piet Mondrian, dem 
Architekten Oud und anderen zu den Gründern der 
Gruppe «Der Stijl». Für deren gleichnamige Zeitschrift hat 
er noch gleichen Jahres eine Vignette mit Schriftzug und 
Signet entworfen, die möglicherweise auf eine Komposıi- 
tion von 1916 zurückgeht. Da auch Mondrian erst 1917 zu 
Kompositionen mit freigestellten Farbflächen gelangt ist, 
scheint die frühere Datierung von Huszar zweifelhaft. 
Mit kleinen, unwesentlichen Veränderungen hat Huszar 
das rhythmische Flächenmuster aus rektangulären Einzel- 
formen auf das Kästchen übertragen. Die einzelnen 
Formen auf dem Deckel sind je von den Primärfarben 
besetzt, wobei Rot nur im kleinen Quadrat auftritt, und 
schwarz und weiss hinzukommen. Das Blau erscheint nur 
auf dem Deckel, während die schmale Seitenfläche oben 
vom rot-schwarz-Kontrast, die untere vom gelb-schwarz- 
Gegenspiel bestimmt ist. Die längeren Seitenflächen 
enthalten beide rot-gelb-schwarze Farbflächen. Im Unter- 
schied zur Vignette für die Zeitschrift und zum gedruckten 
Titelblatt für die erste Ausgabe 1917 ist die Komposition 
auf dem Objekt «gelängt», weil hier gleichsam der 
Schriftzug entfallen ist. Insbesondere die beiden blauen 
Hauptflächen sind von der fast quadratischen Ausgangs- 
form in Längsrechteck-Formen verändert worden. Wenn 
man diese geringen Abweichungen in Rechnung stellt, 
wenn man zudem das Aussenmass der Zeitschrift 
(26 X19 cm) mit der Länge und Breite des Kästchens 
(28,5 X 21,5 cm) vergleicht, scheint sich das Geheimnis 
seines Zwecks zu lüften: das «Dreidimensionale Objekt» ist 
nichts anderes als eine Schachtel zum Aufbewahren einer 
inzwischen berühmt gewordenen Zeitschrift, welche die
	        
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