vollkommener entsprechen können. Das 45 Zentimeter
messende, quadratische Bild war durch das Linienkreuz
aufgeteilt in ein grosses dominierendes rotes Feld, in ein
wesentlich kleineres blaues links unten und in ein ganz
kleines gelbes rechts unten. Das Bild war ganz frisch, der
Künstler hatte es extra auf meinen Besuch hin fertigge-
macht, und es entströmte ihm noch das ‘Parfum’ des Binde-
mittels. Die Komposition als Ganzes war von einer Strah-
lungskraft, die mich mit einer Glückseligkeit erfüllte, wie
ich es noch nie vor einem Kunstwerk erlebt hatte. Auf der
Rückseite war auf die Leinwand ein Zettel aufgeklebt mit
der nachfolgenden, den Sinn und das Wesen der Kunst
Mondrians zusammenfassenden Widmung:
Dedie ä mon cher ami et collegue Alfred Roth: Compter seulement
avec les rapports en les creant et en cherchant leur Equilibre en artet
dans la vte, c'est le beau travail d’aujourd’huz, c'est preparer
P’avenir.
Paris, le 30 janvier 1930 Piet Mondrian
So war Alfred Roths «Mondrian» zwar je 5 cm zu gross, aber
mit seinem vielen Rot so «reelle», dass das Bild nicht ohne
Einfluss auf Roths eigene Tätigkeit blieb. Schon für die
Corbusier-Häuser der Weissenhof-Siedlung hatte das
Thema «Architektur und Farbe» zur Debatte gestanden,
nun wurde es zu einem wichtigen Inhalt des Briefwechsels
mit Mondrian, der von 1931-1939 rund dreissig Briefe des
Malers umfasst. Alfred Roths Studien über die farbige
Gestaltung wurden am CiAM-Kongress 1933 diskutiert,
ader 1937 hielt er im Kunsthaus Zürich einen Vortrag mit
dem Titel «Raum — Bild - Farbe in der heutigen Archi-
tektur». Diese intensive Auseinandersetzung floss selbst-
verständlich auch in sein eigenes Werk ein, so in die Gestal-
tung der Schweizer Abteilung an der «Triennale di Milano»
1957, eine Glaswand im Schulhaus «Riedhof» Zürich (1961-
63) bis zur Einrichtung der eigenen Geburtstagsausstel-
lung 1983 im Kunsthaus Zürich.
Viel mit Roths Stuttgarter Aufenthalt 1927 und seiner
Faszination für Architektur und Farbe hat auch das Bild
«Komposition» (Verspannung) aus dem Jahr 1921 von Willi
Baumeister zu tun, das mit zwei späteren, kleineren
Werken des Künstlers (als erste Vertretung überhaupt!) aus
der Sammlung Alfred Roth ins Kunsthaus gelangt.
Baumeister war Freund von Le Corbusier, und Corbusiers
Farbmuster für die Bemalung seiner Stuttgarter Bauten
scheinen Baumeisters Tonwerte, jedenfalls die seiner
frühen Bilder, zu reflektieren. Baumeisters Jüngste Werke
zierten die Innenräume der Häuser, über die Alfred Roth
seine erste Publikation verfasste: Zwei Wohnhäuser von Le
Corbusier und Pierre Jeannaret, Akademischer Verlag Dr.
Fr. Wedekind & Co., Stuttgart 1927. Die typographische
Überwachung besorgte Willi Baumeister.!! Die Freund-
schaft blieb bis zum Tod des Künstlers 1955 erhalten.
Willi Baumeisters abstraktes Werk entwickelte sich nach
dem Krieg von 1919-1923 in rascher Folge. Publizistisch
unterstützt von Hans Hildebrandt, kämpften die beiden
jungen Akademie-Lehrer Schlemmer und Baumeister in
Stuttgart für die Moderne (u.a. schlugen sie Klee als Nach-
folger Hölzels vor). Die erste bedeutende Leistung waren
Baumeisters «Mauerbilder», die 1919 einsetzen und eine
geistige Verwandtschaft mit den zeitgenössischen Archi-
tekturideen wie der gleichzeitigen Gründung des
Bauhauses haben.» Nicht der Mensch im Raum beschäf-
tigte ihn - dies war das Grundthema Schlemmers -,
sondern die Abkehr vom Illusionismus, die Aufhebung der
Isolierung des Bildes. Er will in der Fläche bleiben, die eines
der Hauptprobleme seines ganzen Schaffens wird, und sich
in ein grösseres Ganzes, den Bau, einordnen, unter Verwen-
dung der verschiedensten Stoffe, einschliesslich taktiler,
plastischer Elemente. Klarheit und Formenstrenge, Objek-
tivität statt Expression, Verlegung der räumlichen Distanz
nach vorn. Die «Mauerbilder» als «Gesetzestafeln», die
enthalten, was die Idee des Baus sein könnte».? Das Bild
Komposition (Verspannung) von 1921 gehört indessen in
die neue Werkreihe der «Flächenkräfte», welche von 1920-
1929 dauert und als die einzige Phase bezeichnet werden
kann, in der sich Baumeister restlos vom Gegenstand löst.
Er selber hat eine Werkfolge «Konstruktivistisch» betitelt.
Will Grobmann, der Biograph Baumeisters, fasst diese
Gruppe von rund 20 Gemälden so zusammen: «Es sind Bil-
der von grösster Einfachheit und Strenge, die Abstraktion
ist bis zum äussersten getrieben. Aber wie bei Mondrian
ist die Abstraktion nicht leer; Flächenteilung, Farbe und
Rhythmus begleichen die Vorstellung des Malers von dem,
was die Welt im Innersten zusammenhiält. Es ist unwahr-