Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

Hinblick auf eine inhaltliche Aussage hin interpretiert. Diese 
Verschiebung in der Beschäftigung mit dem dreidimensio- 
nalen Objekt läuft einerseits parallel mit der Auseinander- 
setzung in der Ölmalerei, die ein langsameres, besinnli- 
cheres und das eigentlich taktile Element der Malerei 
zwangsläufig mehr reflektierendes Vorgehen erfordert, 
und andererseits mit der zunehmenden «Abstrahierung» in 
den Zeichnungen, die, ihre Graphitflächen bis zu tiefen 
Variationen des Schwarz verdichtend, mehr dem Neben- 
und Hintereinander der Bildelemente im diffusen Raum 
als der Verschlingung der körperlichen und pflanzlichen 
Formen sich widmet. 
Was sich erhalten hat, sowohl die Malerei wie die Plastik 
kennzeichnend, ist eine ambivalente Grundhaltung in der 
Herstellung des künstlerischen Produkts: Diese Figura- 
tionen werden nach wie vor aus dem Kräftespiel des Schöp- 
ferischen und des Destruktiven, der Liebe und des Hasses, 
des wissenden Entsetzens und der fast kindlich zu 
nennenden Neugier, des Materiellen und des Geistigen 
geboren. Der ernsthaften inhärenten Auseinandersetzung 
mit einer potentiell zerstörerischen Umwelt (viele Titel von 
Arbeiten sind ein vorerst «literarischer» Hinweis darauf) 
steht die Neu-Schöpfung eines Objekts gegenüber, das in 
beinahe surrealistisch zu nennender Art Gegenstände 
verfremdet, in ihrer «Funktion» manipuliert und andere 
scheinbar die Form von bekannten Alltagsdingen 
annehmen lässt. 
Zwischen höllischer Ausgeburt infolge einer - wie auch 
ımmer verursachten - Mutation und Disney-Figur, 
zwischen gefährlichem Sägefisch und verniedlichtem 
Buntspecht und doch «weder Fisch noch Vogel» spielt der 
Mutant die verschiedenen Konnotationsebenen gegenein- 
ander aus, die jedoch im formalen Bereich trotzdem, und 
nicht zuletzt durch die tonig farbige Fassung, vereinheit- 
licht sind. Ein Türklinkenpaar wird zu Stützen des eigent- 
lichen Rumpfes dieses Zwitterwesens, zu «Beinen» im Sinn 
einer klassischen Statik der Plastik, wobei diese Stummel- 
fortsätze je nach «Leseweise» sowohl Arme wie Flügel wie 
auch Füsse sein könnten - oder auch alles miteinander. Die 
dritte Stütze wird von einem schräg aus dem Rumpf wach- 
senden hammerartigen Fortsatz gebildet, der dem ganzen 
Gebilde im Zusammenwirken mit dem «Schnabel» eine 
bestimmte Richtung verleiht und diesen Zug gleichzeitig, 
wie durch einen Bremsklotz verursacht, konterkariert. 
Diese Bewegung scheint auch in den verwendeten oder zu 
assozlierenden Gegenständen selbst gefroren zu sein, die 
üblicherweise mit manuellen Tätigkeiten verbunden sind: 
in den Klinken und der Hammerform, die sich hier zu stüt- 
zender oder gar bremsender Untätigkeit verurteilt sehen, 
und selbst im Sägeblattschnabel, der seinerseits einer Hand- 
säge entstammt. 
In diesem Sinn, in der Verfremdung und der Umdeutung 
der einzelnen Teile zu etwas Neuem im Zusammenklingen 
mit dem Ganzen, sind Klaudia Schifferles Figurationen mit 
den Plastiken Pablo Picassos aus den fünfziger Jahren 
verwandt, die Werner Spies als die «enzyklopädischen» 
bezeichnet hat.! Vor allem bei Frau mit Kinderwagen von 
1950 und Pavian mit Jungem von 1952 hat Picasso Fundge- 
genstände so in das Figurenganze gefügt, dass diesen im 
plastischen Zusammenhang eine andere Bedeutung zu- 
kommt und ihr eigentliches Konnotationsfeld begrifflich 
hinter das neu entstandene zurückgedrängt wird; so etwa, 
wenn bei der «Frau» eine Ofenplatte zur Spitzenbluse, zwei 
Keramikhenkel zu Babybeinen werden, oder wenn die 
Schnauze des «Pavians» von zwei gekoppelten Spielzeug- 
autos gebildet wird. Wie dem Picasso dieser Jahre geht es 
auch Klaudia Schifferle darum, diese Fundstücke zu inte- 
grieren, nicht als eigenständige «Zitate» im Sinne einer 
plastischen Collagetechnik bestehen zu lassen. Aus 
demselben Grund auch hat Picasso zahlreiche seiner 
Plastiken in Bronze giessen lassen und farblich gefasst (oder 
eine solche Fassung zumindest vorgesehen, wie etwa bei der 
Frau mıt Kinderwagen).? 
Der Vergleich liesse sich noch weiterführen: Auch Klaudia 
Schifferle unterstreicht in ihren neuen Skulpturen durch 
die Farbfassung vielmeher die Struktur des Plastischen als 
dass sie diese im Hinblick auf eine Lesbarkeit interpretiert, 
wie dies etwa noch beim Blumenstrauss (eig. Ohne Titel, 
1986/87)} der Fall gewesen ist. So wird beim Mutant die 
Rippenstruktur am «Kopf» und am eigentlichen «Rumpf» 
durch das tiefe Schwarz in den Furchen betont, während sie
	        
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