einfängt, und es andererseits durch das Gespinst des
weissen «Schneetreibens», das sich wie ein eisiger Schleier
über die ganze Bildfläche legt, wiederum wie gemildert
erscheinen lässt. Den Sedimenten des Steins gleich hat sich
hier Schicht für Schicht einer zähflüssigen, pastosen Öl-
malerei abgelagert, deren dynamische Strömungen den
vormals nervösen Auftrag gleichsam bezeugen.
Dieses Vorgehen gilt es umsomehr hervorzustreichen, als
Disler erst im Jahre 1984 von der Acrylmalerei zum Öl
übergewechselt ist, was einen ganz anderen, kleinteiligeren
Farbauftrag erfordert und das vorherrschende gestische
Moment solcherart zügelt. Berührung im Winter scheint mir
zwei Jahre später bereits ein Höchstmass von Dislers male-
rischen Möglichkeiten auszuschöpfen und gleichzeitig an
jene Grenze zu stossen, wo die Bildoberfläche sich in
einem derart verdichteten Zustand befindet, dass ein
«Weitermalen» die Tiefenschichtung aber auch die figür-
liche «Lesbakeit», die sich bei der Betrachtung nach und
nach einstellt. verunklären dürfte.
Das noch 1984 bestimmende zeichnerische Element in
Dislers Malerei findet sich fast gänzlich in dichten Energie-
strömen aufgehoben, in einem Netz aus gerichteten
Markierungen, aus denen sich, nach und nach in der Bild-
tiefe ausmachbar, grosse Kopfformen befreien, deren
Schädel sich berühren und die in der unteren Bildhälfte
kleinere Kopfgestalten freizugeben scheinen. Sie drängen
sich zusehends auf, wie anthropomorphe Formationen, die
wir in einem Felsmassiv zu erkenn glauben und die uns - als
einmal «gesehene» —- nicht mehr loslassen wollen. Aufge-
rissen fragende Augenpaare lösen sich aus den monumen-
talen Gesichtern in weisslich-blauem Schimmern. Ihnen
steht das pulsierende Rot des berührenden Armes
entgegen, das, von rechts aussen in die Bildmitte eindrin-
gend, in den unklar zu differenzierenden Körperpartien der
unteren Bildhälfte weiterhin mitschwingt. Die Wirkung
der vorherrschenden Blau- und Rotpartien schwankt
zwischen der Evokation von Kälte und ihr entgegenwir-
kender Wärme, zwischen dem Gefühl von Gefrorenem,
Abgelagertem und der zündenden Flamme des Erotischen,
das dieser Kälte trotzt. Mit Grundelemente erster Natur —
Fels, Wasser, Feuer - werden gleichsam die Beziehungen
des Kreatürlichen zu ebendieser Natur symbolisiert: der
flächenfüllenden, durchgehend dichten Malerei steht das
aufgeladen Expressive gegenüber, dem Versteinerten das
Pulsierende, dem Winterschlaf der lebendige Eros. Berüh-
rung ist, solcherart empfunden, nicht bloss aus dem Malakt
resultierendes Bildthema sondern Konstituierende des Mal-
prozesses selbst.
Im Sinne der zuvor vermuteten Schlüsselposition dieses
Werks sei daran erinnert, dass Disler in seinem oft zitierten,
1980 erschienenen Buch Bilder vom Maler fast programma-
tisch formuliert hat, was meines Erachtens im vorliegenden
Bild Jahre später nun gänzlich in der Malerei zum Tragen
kommt: Nicht der Kopf «denkt» ein Bild, vielmehr ist es der
Körper selbst, die auf den Körper unmittelbar bezogene
Imagination.? Dem aus dem Unbewussten Geschöpften, das
auf der Leinwand Farb-Form wird, steht aber immer schon
die bewusste Suche nach der Konfrontation entgegen, nach
dem Reiben der Körper, das die schöpferische Phantasie
sich entzünden lässt, stets in der Schwebe zwischen
Abstraktion und Figuration.
Dass der «Ursprung der Kunst» im Unbewussten zu suchen
sei, glaubt Disler so sehr wie Jackson Pollock dies tat; doch
zielt Disler ganz objektiv auf die gegenwärtige Lebenser-
fahrung, auf die Welt, die uns umgibt. Das Entziffern der
«Motive», von denen er in seiner Arbeit immer wieder
ausgeht und zu denen er durch die Malerei schichtweise
vorstösst, erklärt aber nicht die buchstäbliche «Berührung»,
jenes Unter-die-Haut-Gehen, das seine Formulierungen in
uns auslösen. Die eingehende Betrachtung der Ölmalerei in
ihrer sprichwörtlichen Mehrschichtigkeit, der die Plastizität
der aufgeworfenen Farbgrate fortwährend neue Dimen-
sionen verleiht, vermag jedoch stets neue inhaltliche
Zusammenhänge zu provozieren, die sich je nach Disposi-
tion des Betrachters zugunsten anderer verflüchtigen. Das
«Berührtsein» des Betrachters vollzieht gewissermassen den
Schaffensprozess ein Stück weit mit nach, den Disler selbst
in Unterscheidung auch von der eigentlichen zeichne-
rischen Arbeit - im Gespräch für sich festgehalten hat: «Ich
habe tatsächlich etwas wie eine Vorstellung, die nicht bild-
lich ist, sondern wie ein Begehren, ein Wunsch, ein
Verlangen in mir. Ich sehe einen bestimmten Wunsch, zum