«Aspekte Junger Schweizer Kunst» meinte aber auch, dass
die verschiedenen Stossrichtungen künstlerischen Erle-
bens und Formulierens mit jenen Künstlern und Künst-
lerinnen zu zeigen waren, die sowohl als genuine Schöpfer
wie als Träger des solcherart von ihnen vertretenen Gedan-
ken- und Formenreichtums gelten dürfen. Besonders
berücksichtigt wurde bei der Auswahl auch, dass viele der
spannungsvollsten Künstler sich zumeist in mehreren
«Medien» gleichzeitig ausdrücken, was sich im Aufbau der
Ausstellung widerspiegeln sollte.
Die Ausstellungsarchitektur ermöglichte, für jeden
Beteiligten einen relativ geschlossenen Raum zu schaffen,
der aber interessante Durchblicke auf die zuvor gesehenen
und die nächstfolgenden Werke zuliess. Der Betrachter
wurde im Wechsel von einerseits eher expressiven und
konzeptuellen Strömungen und andererseits mit eher die
Wände nutzenden oder raumgreifenden Installationen in
einem sinnvollen Ablauf und in einer Art Schlangenlinie
durch den Grossen Ausstellungssaal geführt. Der Aufbau
berücksichtigte dabei, dass etwa die «reine» Malerei
(Wanner, Roesch, Geiger), aber auch die Skulptur und
Plastik (Müller, Perrin) im Tageslicht gezeigt werden
konnte. Die Werke derjenigen Künstler, die sowohl
Plastiken wie Arbeiten auf Papier und Wandobjekte zur
Ausstellung brachten, fanden sich in ein Mischlicht
getaucht (Ikemura, Stalder, Schifferle, Hofer, Cahn),
während die eigentlichen Rauminstallationen und die licht-
empfindlichen Werke weitestgehend vom Tageslicht abge-
schirmt waren (Disler, Armleder, Etter, Villiger, Fischli/
Weiss). Dies galt ebenso für die Arbeiten im Erdgeschoss,
die teilweise Malerei und Photographie kombinieren
(Himmelsbach, Huber), sowie die Video-Installationen
(Lanz und Winteler).
Die meisten der gezeigten Arbeiten waren in den beiden
Jahren zuvor oder direkt im Hinblick auf diese Ausstellung
entstanden; lediglich bei zwei Künstlerinnen, deren Werke
im Graphischen Kabinett gezeigt wurden, schien es sinn-
voll, die Genese der heutigen Formulierungen im knappen
Rückblick aufzuzeigen: so mit Zeichnungen von Ilona
Ruegg aus den Jahren 1983-87 und mit den grossforma-
tigen Blättern von Barbara Hee aus 1984-87, deren neu
entstandene Beton-Skulpturen von eben diesen herzu-
leiten sind.
Einen integralen Bestandteil der Gesamtausstellung
bildeten 3 Begleitprogramme, die schwerpunktmässig den-
jenigen künstlerischen Äusserungen zugedacht waren, die
nicht ständig präsentierbar sind: Dem experimentellen
Film, der Performance (mit Betonung des Tanzes) und der
Video-Kunst.
Die Eröffnung der Ausstellung «Stiller Nachmittag»
fand zusammen mit dem eigentlichen Festakt zum 200-
Jahr-Jubiläum der Kunstgesellschaft statt, was dazu führte,
dass das Kunsthaus am Abend des 10. September mehr als
5000 Gäste aufnehmen sollte.
Erwartungsgemäss fand die Ausstellung ein grosses
Presse-Echo und wurde vor allem in Tageszeitungen
dementsprechend kontrovers diskutiert. Die Publikums-
frequenz übertraf mit mehr als 22 000 Besuchern sogar die
bei Gruppenausstellungen dieses Typus’ zumeist übliche
Besucherzahl, wogegen der über 200 Seiten starke, reich-
bebilderte Katalog mit Beiträgen zu jedem der beteiligten
Künstler(innen) nicht den entsprechenden Absatz fand.
Edvard Munch
Der Erfolg der Munch-Retrospektive übertraf unsere
kühnsten Erwartungen. Mit über 230 000 Besuchern, mit
26 000 verkauften Katalogen, mit rund 350 Führungen und
sehr vielen Schüler-Work-Shops sowie den Verkäufen von
Postkarten, Plakaten und Reproduktionen wurden
Rekordzahlen erreicht. Die Frage nach den Gründen ist nie
leicht zu beantworten, doch darf angenommen werden,
dass in einer «schönen Ausstellung» «wahre Kunst» zu
sehen war, ja dass die Lebenswahrheiten ın Munchs Bildern
wie sein exemplarischer Lebensweg, durch ihre künst-
lerische Bewältigung eine Betroffenheit ausgelöst haben,
die über ein blosses Genusserlebnis hinausging. Ein grosses
Echo, wiederholte Besuche und Vertiefung mit dem
Katalog oder dem schwierigen, aber eindrücklichen Film
von Peter Watkins haben jedenfalls darauf hingewiesen.
In diesem Zusammenhang fiel auch das aussergewöhn-
liche Interesse von Gruppen geistig oder körperlich behin-
derter Menschen auf, denen in der gängigen Kunstwelt des
«irdischen Paradieses» die von Tod, Krankheit und Lebens-