Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

HINWEIS AUF 
EINIGE NEUERSCHEINUNGEN 
ANGELIKA KAUFFMANNS «AMOR UND PSYCHE» 
Dass die beiden berühmtesten Schweizer Maler des 
18. Jahrhunderts, Angelika Kauffmann! und Johann Hein- 
zich Füssli, im gleichen Jahr 1741 geboren wurden, gehört 
zu den neckischen Zufällen der Geschichte; wie sich 
ihre Lebenswege und Kunstauffassungen entsprachen, 
kreuzten und extrem auseinander entwickelten, lässt 
Grundsätzliches des internationalen Klassizismus er- 
kennen. 
Beide stammten aus Künstlerfamilien; während aber der 
Knabe Theologie studieren musste, wurde das Mädchen 
von seinem Vater systematisch ausgebildet, zunächst in 
Graubünden, später in Oberitalien, Florenz und Rom. Hier 
entstand 1764 jenes berühmte Gemälde, das die Kunst der 
Kauffmann bis jetzt allein im Kunsthaus vertrat: das 
Portrait Winckelmanns, der es selbst als sein bestes bezeich- 
nete und das sie im Auftrag eines Verwandten Füsslis 
malte.? Dieser gelangte mittlerweile nach London und 
hierhin reiste 1766 auch Angelika. Natürlich soll der genia- 
lische Hitzkopf in Liebe zu ihr entbrannt sein - doch der 
mittellose und unstete Literat konnte kaum als schickliche 
Partie erscheinen. Denn schon bei der ersten Ausstellung 
der Royal Academy 1769 erwies sich Angelika neben 
Benjamin West als führend in der englischen Historienma- 
lerei‚? während sich der Zürcher erst damals professionell 
der Kunst zuzuwenden begann. Gleichzeitig behandelten 
sie die Verführung Vortigerns durch Rowena, er in einer 
Zeichnung, sie in einem Gemälde.“ Doch schon im folgen- 
den Jahr holte nun Füssli seinerseits die Ausbildung in 
Rom nach; kurz nach seiner Rückkehr nach London 1779 
übersiedelte die Kauffmann nach Rom (1781), wo sie bis zu 
ihrem Tode 1807 hoch geachtet und viel beschäftigt für eine 
internationale Kundschaft tätig blieb. 
Wie sich schon aus diesen beiden Lebensläufen ergibt, zeigt 
sich bei den zwei Künstlern eine Phasen-Verschiebung: 
obwohl gleich alt, gehören sie stilistisch zu zwei verschie- 
denen Generationen. Angelikas Kunst entwickelte sich 
organisch aus dem süddeutsch-oberitalienischen Spätba- 
rock ihres Vaters durch das Studium der Klassiker des 
‘6. und 17. Jahrhunderts - Raphael, Correggio, die Vene- 
zianer, Reni und der bolognesisch-römische Barock-Klassi- 
zismus bis hin zu dessen letzten Meister, Batoni.° Durch 
den Kontakt mit Winckelmann und Mengs, Hamilton und 
West ın Rom um 1765 wurde sie eine der ersten Vertrete- 
innen des frühen Neoklassizismus, den Füssli nach seiner 
Ankunft in Rom 1770 sogleich als zu spannungsarm 
verwarf. Dank seiner literarischen Ausbildung im Kreise 
Bodmers und des «Sturm und Drangs» waren seine ästhe- 
tischen Ansichten nicht mehr auf die ideale Schönheit und 
die seit dem Rokoko besonders betonte Grazie ausge- 
richtet, sondern auf das erhaben Erschütternde, auf die 
Terribilita. Unter dem schockartigen Erlebnis Roms, wie es 
nur die Nordländer kannten und in Füsslis Zeichnung des 
über die Grösse der antiken Trümmer verzweifelnden 
Künstlers seinen schlagendsten Ausdruck fand, bildete sich 
sein extremer, subjektivistischer Stil, der den Übergang 
zum Hochklassizismus markierte. Die völlige Vernachlässi- 
gung der in der älteren Malerei gepflegten dekorativen 
Aspekte machte den Bruch zum Herkömmlichen 
ınmässig abrupt; seine Werke müssen schon den Zeitge- 
nossen als völlig exzentrisch und dem Normalverbraucher 
als ungeniessbar erschienen sein. In all dem ist die Kunst der 
Angelika Kauffmann das direkte Gegenteil; sie vermochte 
wie kaum sonst jemand ältere und neuere Erfordernisse zu 
versöhnen. So ist sie eher dem gleichfalls so ausserordent- 
lich erfolgreichen Salomon Gessner zu vergleichen, dessen 
Dichtungen sie bewunderte und mit dem sie korrespon- 
dierte.© 
Der Übergang vom Spätbarock zum Klassizismus wird in 
der deutschen Kunstliteratur vorzugsweise durch ein neues 
Verhältnis der Darstellung zur Bildfläche beschrieben: 
während vorher diese als ornamentale Einheit erscheint,
	        
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