Volltext: Jahresbericht 1987 (1987)

durchbricht der neue Stil diese letztlich von der male- 
rischen Faktur oder «peinture» gebildete Erscheinungs- 
ebene.’ Einerseits bedeutet dies der bekannte Verlust der 
Stilsicherheit, in die auch schwächere Werke alter Meister 
zingebunden waren, andrerseits eröffnen sich neue 
Möglichkeiten, etwa in der dinglichen Präsenz der abgebil- 
deten Gegenstände oder im spannungsvollen Bezug der 
Figurenkomposition zum Bildfeld, wie er von Füssli in 
sxtremer Weise strapaziert wurde. In den frühen klassizi- 
stischen Historien der Kauffmann, etwa dem «Abschied 
Hektors von Andromache» (1768, Saltram House), stellt 
sich das Problem; doch in den folgenden Jahren assimiliert 
sie Rokoko-Formen und lockert Formstrenge und 
Malweise derart, dass sie ein Idiom ganz eigenen Charakters 
erreicht. Bezeichnend für die dadurch erzielte dekorative 
Qualität darf die massenhafte Verbreitung ihrer Komposi- 
tionen in qualitätsvollen Stichen als «furniture-prints» 
gelten, die als Schmuck von Möbeln und anderem 
dienten.® Diese harmonische Einheit vermag sie in ihren 
späteren Werken zu wahren, auch wenn strenger klassizi- 
stische Elemente zunehmend an Bedeutung gewinnen. 
Aus der späten Zeit stammt auch «Amor und Psyche» 
(Abb. 1);? im Vergleich zur Ölskizze in Bregenz,® die in 
hrer malerisch weicheren, atmosphärisch räumlicheren 
Haltung noch fast an Fragonard erinnert, zeigt sich die klas- 
sizistische Systematisierung der Figuren zu einer geschlos- 
senen, bildparallelen Gruppe, die wie bei Füssli durch ein 
zgeometrisches Netz von Entsprechungen verfestigt wird. 
Ganz im Gegensatz zu ihm unternimmt aber Angelika 
alles, um das Paar in das Bild einzubinden. In der Skizze 
zeschah dies noch mit schwingenden Kurven, doch zur 
Zeit des Hochklassizismus erschien das wohl bereits als 
altmodisch; so greift sie für die Ausführung auf das schon 
von Tizian eingeführte System diagonaler Baumstämme 
zurück, deren Härte durch reiches Blattwerk gemildert 
wird. Auch nach vorn und unten wird die Komposition 
und der Bildraum durch das Bächlein und die Pflanzen 
sorgfältig gerundet und geschlossen. Ebenso sucht sie einen 
Ausgleich zwischen der nun geforderten plastischen Klar- 
heit des Gegenständlichen und dem die Einheit der Bild- 
fläche bewahrenden Eigenwert der Malerei, was sich beson- 
ders gut im Faltenwerk beobachten lässt; die Modellierung 
der Körper bleibt unakzentuiert weich und entspricht da- 
mit zugleich der angestrebten Grazie und dem jugendlich 
zarten Charakter der Protagonisten. 
Damit wird die inhaltliche Dimension des Gemäldes 
berührt und im Zusammenklang der formalen Mittel mit 
der dargestellten Geschichte erweist sich erst sein beispiel- 
hafter Charakter. Nicht von ungefähr führte es Angelika 
Kauffmann als Nummer 1 auf einer kurzen Liste von etwa 
fünfzehn Werken, die ihr besonders wichtig erschienen: 
«Ein Gemälde, hoch 10 Ellen, breit 7 Ellen, mit lebens- 
grossen Figuren, Amor und Psyche darstellend in dem 
Moment, in dem Psyche nach ihrer Rückkehr von Proser- 
pina entgegen dem erhaltenen Befehl das kleine Gefäss mit 
Schönheitssalbe, das sie Venus bringen sollte, öffnete. Die 
Dämpfe, die ihm entstiegen, liessen sie fast ın Ohnmacht 
sinken. Amor tröstet sie und trocknet ihre Tränen mit 
seinen eigenen Haaren. Das Sujet ermöglichte es mir, einen 
sehr zarten und feinen Ausdruck darzustellen, und das 
Gemälde ist wirklich interessant. Der Hintergrund wird 
vom Eingang in die Unterwelt, umgeben von Felsen und 
Buschwerk, gebildet.»!! Es ist genau dieser «zarte und feine 
Ausdruck», für den Angelika zu recht berühmt war und der 
der Idee der «schönen Seele», die damals berühmten Frauen 
als vornehmste Zierde zuerkannt wurde, entsprach. Psyche, 
die durch ihre Wohlgestalt die der Venus geschuldete 
Verehrung auf sich zog, kann ja ganz wörtlich als Inbegriff 
der schönen «Seele» gelten. 
Tatsächlich gehörte das köstliche Märchen von Amor und 
Psyche, das Apuleius mit subtiler Kunst und nicht ohne 
[ronie in seinem erschröcklich-ergötzlichen «Goldenen 
Esel» erzählt,? zu den Lieblingsthemen der Epoche; die 
berühmten Darstellungen von Canova und David sind nur 
die Spitzen des Eisbergs. Rokoko-Erotik und pompeja- 
nische Neufunde verbinden sich hier und sehen sich durch 
platonische Ideen veredelt; das aufklärerisch augenzwin- 
kernde Verhältnis zur Götterwelt, das spielerische Gleiten 
über die bedrohliche Macht von Tod und Schattenreich, 
das Laster der Neugierde als Motor des Geschehens, die 
psychologische Entwicklung in geschmeidiger Prosa'*: 
alles entsprach dem Zeitgeschmack und berührte wesent- 
liche Probleme, die sich durch die Auflösung der christ-
	        
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