Full text: Jahresbericht 1988 (1988)

Bild von 1982 eng verwandt. Sigmar Polke dürfte wohl der 
einflussreichste Künstler dieser Gruppe sein; er hält nun als 
letzter im Kunsthaus Einzug, nachdem entsprechende 
Bemühungen anlässlich seiner Zürcher Ausstellung 1984 
leider zu keinem Resultat führten. «Neid und Habgier» 
ist ein grosses Werk, das mit den wesentlichen Techniken 
seines künstlerischen Vorgehens ein zentrales Problem 
unserer Lebenswelt in allgemein verständlicher Form ana- 
lysiert. Die Art der kritischen gedanklichen Auseinander- 
setzung, die hier unabweisbar gefordert ist, erleichtert 
und vertieft dem Betrachter auch das Verständnis der 
Gemälde von Kiefer, Baselitz oder Penck. 
Entsteht der Eindruck, an das Ende einer Entwick- 
lungsphase gestossen zu sein, bedarf es einer Neuorien- 
tierung. Während sich ein breites Publikum an den hohen 
Preisen stösst, bereitet anscheinend selbst dem Kunsthaus 
nahestehenden Kreisen die Verschiedenartigkeit der 
Neuzugänge, wie sie sich in der Jubiläumsausstellung 
oder auch in den Jahresberichten zeigt, Mühe. Dabei 
wird zweierlei nicht oder zuwenig bedacht: einerseits 
sind die Geschenke weit zahlreicher als die Erwerbungen 
aus den regulären Mitteln und können naturgemäss nicht 
oder nur beschränkt gelenkt werden. Das Kunsthaus dient 
in unserer pluralistischen Gesellschaft ganz unterschiedli- 
chen Kreisen und Interessen: weder die Zünfter noch die 
Stadt möchten aus gegebenen Anlässen ein avantgardisti- 
sches Werk schenken; dem einen ist ein altzürcherisches 
Tafelgemälde aus der Zeit der Zunftherrschaft, dem andern 
ein Bild des hier volkstümlichen Marc Chagall erwünscht. 
Zum zweiten wird übersehen, dass der Sinnzusammen- 
hang der Neuzugänge nicht der Jahresbericht, sondern das 
Ganze der Sammlung ist: ein Gefüge mit vielen offenen 
Enden, an denen bei sich bietender Gelegenheit weiter zu 
bauen ist. So haben es jetzt ausserordentliche Mittel 
ermöglicht, längst erwünschte, aber sonst stets uner- 
reichbar teure Gemälde für die Amerikaner-Gruppe zu 
erwerben. Oder, um ein Beispiel anderer Art zu nennen: 
erst die bedeutende Gruppe italienischer Gemälde des 
17. und 18. Jahrhunderts, die dank der Stiftung Koetser 
ins Kunsthaus gelangte, machte ein Figurenbild von Ange- 
lika Kauffmann als Verbindungsglied zur Sammlung 
schweizerischer Maler, insbesondere zu Füssli, zu einem 
Desiderat. Verfolgt man die Entstehung der wesentlichen 
Werkgruppen unserer Sammlung, lässt sıch zwar öfters 
eine Gründungsphase erkennen: doch die zentralen 
Hauptwerke wurden meist erst später erhältlich. 
Obwohl es als sinnvoll und wünschenswert erscheint, 
die vorhandenen Schwerpunkte gezielt zu verbessern, steht 
wie seit eh und je die zeitgenössische Kunstproduktion im 
Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Als Vorhut und 
Spähtrupp sucht die autonome Gruppe Junge Kunst der 
Vereinigung Zürcher Kunstfreunde nach neuen erfolgver- 
sprechenden Künstlern, und auch die Direktion lässt sich 
in diesem Bereich innerhalb ihrer Kompetenzspanne 
von Fr. 25 000.— gelegentlich zu einem Kauf hinreissen. 
Es kennzeichnet aber die heutige Situation, dass diese 
Limite schon sehr bald überschritten wird — längst bevor 
durch eine gewisse Konsistenz der Entwicklung die länger- 
fristige Bedeutung des Künstlers erwiesen werden könnte. 
Da man mit der Krise des Fortschrittglaubens auch von 
dem Konzept der «Avantgarden» und der Idee einer zwin- 
genden, führenden Entwicklungslinie abgekommen ist, 
ergibt sich eine neue Offenheit für vielfältige Möglich- 
keiten, die freilich sowohl für die Künstler als auch für 
Museumssammlungen die Gefahr schwankender Belie- 
bigkeit noch verstärkt. Der Verlauf der Produktion der 
jüngeren «Neuen Wilden» weist diese drastisch auf; die 
eruptive Intensität des frischen Beginnens hat sich 
verflüchtigt, die Vertiefung und Verdichtung eines kon- 
sequenten Reifens erreichen nur wenige. 
Es scheint, dass in dieser Situation das Arbeiten mit 
dreidimensionalen, eigengewichtigen Materialien eher zu 
überzeugenden Lösungen führt als die Malerei. Mehrere, 
sehr eigenständige Künstler, deren Anfänge stark kon- 
zeptuell bestimmt waren, haben zu sinnlich dichten, ja 
monumentalen Formulierungen gefunden, die elementare 
Ursprünglichkeit mit komplexer Vielschichtigkeit der 
Aussage zu vereinen vermögen. Diese Qualitäten sehen wir 
etwa in den reifen Werken von Mario Merz und Ulrich 
Rückriem; von beiden konnten 1985 aus Ausstellungen 
hervorragende Werke erworben werden. 1988 fand sich eine 
ähnlich eindrückliche und im Museum isolierbare Arbeit 
von Christian Boltanski. Auf diesem, von den wechselnden 
Moden merkwürdig abgehobenen Kreis möchten wir in 
nächster Zeit unser Bemühen konzentrieren; mehrere 
konkrete Vorstösse sind bereits in die Wege geleitet.
	        
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