Volltext: Jahresbericht 1988 (1988)

Kunsthauses mit der elementaren Oppositions-Proble- 
matik an das bahnbrechende Weltbild der frühen sechziger 
fahre an, wenngleich im jüngeren Bild das Aufeinander- 
:reffen der Opponenten noch stärker abstrahiert, man ist 
geneigt zu sagen: mythischer gezeigt wird. 
Die 1961 erstmals konsequent verwendeten Strich- 
männchen sollten zu einer Art «Markenzeichen» für 
Penck werden, welcher damit aber nicht direkt auf Höh- 
‚enzeichnungen oder Bildformen von Künstlern, die der 
«art brut» zugerechnet werden, zurückgriff — künstlerische 
Ausdrucksformen, die der junge Ralf Winkler in seiner 
Dresdener Zeit noch gar nicht gekannt hatte. Im Zuge des 
angestrebten Prozesses der Abstraktion und der Reduktion 
waren sie ihm vielmehr gefundene «Symbole», um die als 
zrundlegend erkannten Systemzusammenhänge, oder 
ben «Haltungsbezüge», in knappster Form ausdrücken zu 
können. Was den heutigen Betrachter wie eine Referenz 
an primitive Höhlenbilder anmutet, verband sich auch für 
Penck erst zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Namen 
eines Naturwissenschaftlers, den sich der «Untergrunds- 
künstler» 1968 als Tarnnamen aneignen sollte, um gleich- 
zeitig sein eigentliches Anliegen auch mittels des Pseu- 
donyms symbolisch zu fassen: Durch die Lektüre von 
Werken des Geologen Albrecht Penck (1858-1945), der 
sich als Erforscher der Eiszeiten vor allem durch seine sach- 
liche, unromantische und streng um Objektivität be- 
mühte Methode einen Namen gemacht hatte, auf dessen 
Lebenswerk aufmerksam geworden, wählte Ralf Winkler 
diesen Künstlernamen in jenem Moment, als er die ersten 
grossen Bilder mit einem «standardisierten» Zeichensystem 
anfertigte. Entscheidend für Penck war dabei die Vor- 
stellung von der Exaktheit des Vorgehens und dessen 
unsentimentaler Darstellung, wobei sich das Tätigkeitsfeld 
des Forschers Albrecht Penck mit seinen eigenen, «eiszeit- 
lich» anmutenden Bildreduktionen anfangs der sechziger 
lahre wie naturwüchsig zu verbinden schien. 
Weist die pastose Oberflächenbeschaffenheit des Welt- 
hildes noch auf die Auseinandersetzung mit den Vorbil- 
dern Van Gogh und Picasso, so nehmen die abstrahierten 
Handlungsträger im Bildgeviert teilweise schon Pencks 
«Standart»-Bilder vorweg, jene Formulierungen also, mit 
denen er sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre um 
zine «konzeptuelle Malerei» bemühte: «Der Beeriff Stan- 
dart ist ein Griff in das Gebiet des Seh- und Perzeptions- 
verhaltens (...) Der Begriff enthält Gefühls- und Wort- 
assoziationsmöglichkeiten zu Standard (stendardo, Stan- 
darte), zu Stand (feststellen, Zustand oder Stand im Sinne 
der Ständeordnung) und Art (artifiziell, art).»* Zur eigent- 
lichen Identifikationsfigur seiner «Standart»-Werke sollte 
die mit erhobenen Händen frontal zum Betrachter hin 
gerichtete Strichfigur werden, die im Weltbild erstmals 
‘auch) Handlungsträger geworden ist. Insofern darf das 
Weltbild auch als moderne Möglichkeit eines Historien- 
bildes gesehen werden. Penck selbst hat sein Wandgemälde 
von 1962, Geteiltes Deutschland, in einem Gespräch als 
«Historienbild» apostrophiert> und damit seinerseits auf 
die traditionelle Malerei verwiesen. Zu Recht, denn beide 
Bilder zeichnet etwas aus, was qua Definition elementar 
dieser Bildgattung zugehört: die Wiedergabe von Hand- 
‘ung und die Symbolisierung von Allgemeingültigem. 
Das erste Weltbild, das solcherart zwischen den eigent- 
lichen figurativen Werken der fünfziger Jahre und den 
«Standart»-Bildern Ende der sechziger Jahre vermittelt, 
darf als Keimzelle für das bis heute andauernde Schaffen 
des Künstlers gesehen werden. Es nimmt eine Stellung 
ain, die sowohl den Durchbruch zu neuen Bildfindungen 
wie auch eine bereits voll ausgereifte Leistung bezeichnet, 
die im Gesamtwerk A.R. Pencks ihresgleichen sucht. 
Tonı Stooss 
Anmerkungen 
‘Interview Walter Grasskamp mit A.R. Penck, in: Ursprung und Vision, 
Neue deutsche Malerei, Ausstellungskatalog Palacio Veläzques, Madrid, 
Fundaciö Caixa de Pensions, Barcelona 1984. Zitiert nach Ausstellungs- 
katalog 4.7. penck, Berlin/Zürich 1988, 5.23. 
In einem Gespräch mit Dieter Koepplin am 10. Mai 1978, zitiert von 
D.K. in: ar. penck. X. Zeichnungen bis 1975, Kunstmuseum Basel u.a. Orte, 
1978, S. 20, Anm. 1. 
«Wir fanden den Mauerbau ja gut, nach unserer politischen Überzeu- 
gung damals war der richtig...» Interview Walter Grasskamp, a.a.O., 
zitiert nach Ausstellungskatalog a. 7 penck, Berlin/Zürich 1988, S. 91. 
‘ A.R. Penck, Standart. Einführung des Begriffes, 1970, in: Ausstellungskatalog 
A.R. Penck, Kunsthalle Köln, 1984, S. 101. 
) In einem Gespräch mit Dieter Koepplin, a.a.0.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.