Volltext: Jahresbericht 1989 (1989)

sammlung Kunsthaus Zürich» mit einem vierten Schwer- 
punkt, der insbesondere die klassische künstlerische Pho- 
tographie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfasst. 
Eine spezielle Stellung nehmen die Photographen der Zeit- 
schrift «Camera Work» ein, die zwischen 1903 und 1917 in 
50 Einzelheften erschien. Ihr Herausgeber war jener Alfred 
Stieglitz, der 1902 die «Photo-Secession» in New York grün- 
dete, mit seiner Galerie 291 aber der gesamten europäi- 
schen Malerei-Avantgarde zum Durchbruch verhalf und 
u. a. ein Zentrum für Dada New York war. Stieglitz sah diese 
Gündungen als parallele Entwicklung zur Malerei — die 
Tiefdruckreproduktionen von Photographien und die vier- 
farbigen Hochdruckabbildungen von Kunstwerken ver- 
liehen der von Steichen gestalteten Zeitschrift eine einma- 
lige Qualität, die ein internationales Kunstpublikum 
erreichte. 
Neben Stieglitz und Steichen waren u. a. Gertrude Käse- 
bier, Adolphe de Meyer, Clarence White, Alvin Langdon 
Coburn und Karl Struss vertreten. Die letzte Doppel- 
nummer 49/50 vom Juni 1917 war Paul Strand gewidmet 
und mit ihm der «straight photography»: eine kühne, neue 
Handschrift tauchte auf, ein formstrenger Blick aufs alltäg- 
liche Leben. Die für 1990/91 vorgesehene grosse Retrospek- 
tive der National Gallery Washington rückt Strand in den 
Umkreis des Kubismus. Von Paul Strand fünf Originalab- 
züge zu besitzen, das bedeutet für jede Photosammlung 
einen Massstab. Nichts als reine Photographie, gelangen 
Strand trotzdem Photos «als Bilder», Erfahrungen, die er 
aus «Camera Work» gewonnen und mit beispielhaftem 
Formwillen und Disziplin in ein Medium umzusetzen ver- 
stand, das nach der Kodak-«Weisheit» von der Schnelligkeit 
und Beiläufigkeit lebt. Strand, der später auch berühmte 
Filme machte, setzte einen neuen Anspruch: der Photo- 
graph als Künstler. 
Die fünf «Strands» sind eine Landschaft, ein Porträt, 
zwei Stilleben (einmal Natur, einmal Technik) und eine 
Architekturstudie. Sie stehen damit fast beispielhaft für die 
«Rich-Sammlung». Es ist auffallend, wie sich neue photo- 
graphische Formen (wie in der Malerei, zuletzt ım 
Kubismus und in der neuen Sachlichkeit) häufig in der 
Dingwelt erprobten, so dass sich zwei Schwergewichte der 
Sammlung in Natur- und Technikstudien, und damit ver- 
wandt in Landschafts- und Architekturaufnahme bilden. 
(Aufnahmen von Edward Weston, Ansel Adams, Minor 
White, Paul Outerbridge, Imogen Cunningham, von 
Moholy-Nagy und Renger-Patzsch bis Irving Penn.) Die 
Ruhe des Gegenstandes fördert offenbar die Konzentra- 
tion auf die Komposition, die Verteilung von Licht und 
Schatten, die Aufmerksamkeit für feinste Ton-Nuancen. 
Vom Stillleben ist es ein kleiner Schritt zum Akt und zum 
Porträt, Gattungen, die mit Arbeiten von Ruth Bernhard, 
Richard Avedon, Frantisek Drtikol, Heinrich Kühn, Man 
Ray, Edward Steichen oder Josef Sudek vertreten sind. 
Neben einer noch zu kleinen Zahl von Experimenten 
(Man Ray, Kertesz, Bayer, Abbot, Edgerton) finden sich am 
andern Pol des weiten Spektrums der Photographie Repor 
tagebilder, die durch ihren künstlerischen Anspruch die 
Wahrnehmung der Realität so verändert haben, dass sıe mit 
in ein Museumskonzept gehören, das den Anspruch hat, 
die visuelle Kultur unseres Jahrhunderts gültig darzu- 
stellen. Dazu gehören Bilder von Berenice Abbot, Eugene 
Atget, Henri Cartier-Bresson, Margaret Bourke-White, Bili 
Brandt bis Robert Frank. 
Die «Marc Rich-Collection» ist ins 19. Jahrhundert, wo 
bereits Beispiele von Fox Talbot, Cameron und Marville 
Bezüge zur damaligen Malerei offenbaren, sie ist aber auch 
in die Gegenwart auszubauen. Dass es im Jahr des 150. Ge- 
burtstags eines für unsere Bildwelt so wichtigen Mediums 
gelungen ist, nach langen Jahren kontinuierlicher Ausstel- 
lungsarbeit auch die Sammlungstätigkeit aufzunehmen, 
zeugt vom erhöhten Stellenwert, der die Photographie 
auch in klassischen Kunstmuseen erlangt hat. Wenn man 
sich vom Nutzen solchen Sammelns noch überzeugen 
müsste: die ersten Leihgesuche sind eingetroffen. 
Guido Magnaguagno
	        
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