SERGE POLIAKOFF «COMPOSITION EN BLEU»
MARK TOBEY «WHITE WRITING»
Als sich in den späten vierziger Jahren die Grenzen wieder
öffneten und der durch die Kriegsjahre geschürte Hunger
nach internationaler kultureller Information gestillt
werden konnte, richtete sich hierzulande die Blickrichtung
der an neuer Kunst Interessierten nach Westen: In Paris
erkannte man den virulentesten Brennpunkt zukunftswei-
sender künstlerischer Recherchen — dass sich in New York
gleichzeitig eine noch radikalere und folgenreichere Auf-
bruchstimmung manifestierte, wurde wenig später stau-
nend, zum Teil auch widerwillig, zur Kenntnis genommen.
Es war die Zeit der informativen Gruppenausstellungen,
die das Bild der Nachkriegs-Kunst entwarfen und in der
Folge für lange Zeit prägten. In Bern organisierte Arnold
Rüdlinger die heute beinahe legendäre und vielzitierte Aus-
stellungsreihe der «Tendences actuelles»; während die
beiden ersten Ausstellungen dieser Reihe, die 1952 und
1954 durchgeführt wurden, mit vollem Titel «Tendences
actuelles de P’&cole de Paris» hiessen, so entfiel die zweite
Hälfte des Titels in der dritten Auflage von 1955, als erst-
mals neben den Europäern Bryen, Mathieu, Michaux und
Wols auch amerikanische Künstlerpersönlichkeiten wie
Pollock und Tobey vorgestellt wurden.
Im Kunsthaus Zürich zeigte Rene Wehrli 1952 die Aus-
stellung «Malerei in Paris — heute». Diese Veranstaltung
blieb nicht ohne Folgen für den Ausbau unserer Samm-
lung. Aus der Ausstellung selbst wurde je ein Werk von
Nicolas de Stael und Pierre Soulages erworben —die ersten
Bilder der internationalen Nachkriegskunst, die Eingang in
die Kunsthaussammlung fanden. Die damals begonnene
Aufbauarbeit wurde in den folgenden Jahren fortgesetzt;
noch in den fünfziger Jahren wurden Werke von Jean
Dubuffet, Zoltan Kemeny, Georges Mathieu, Ben
Nicholson, Pablo Palazuelo, Jean-Paul Riopelle und Wols
in die Sammlung aufgenommen.
Wenn wir in diesem Jahr die Freude haben, zwei Werke
von zwei Künstlern, die die fünfziger Jahre massgeblich
mitgeprägt haben, als Geschenke entgegennehmen zu
können, so handelt es sich um zwei Künstler, die in jener
Dekade noch nicht Eingang in die Sammlung gefunden
haben. 1965 gelangte als Legat von Dr. Carlo Fleischmann
das bislang einzige Bild von Serge Poliakoff «Bleu mono-
chrome» 1955, in die Kunsthaus-Sammlung; Mark Tobey
hingegen ist in der Sammlung bis im Berichtsjahr nicht per-
manent vertreten, wobei zu erinnern ist, dass zu dem ver-
sprochenen Legat von Erna und Curt Burgauer das sehr
zarte Werk «Tablet» von 1961 gehört. Die Sammlung hat
somit durch die beiden Gemälde eine wesentliche Inten-
sivierung der Darstellung der Situation um 1950 erfahren.
Auch wenn es methodisch nicht ganz unbedenklich ist,
zwei Werke, die durch Zufall in eine gemeinsame Betrach-
tung einbezogen werden, miteinander zu vergleichen, so ist
es doch recht reizvoll, an die so unterschiedliche Rezep-
tions-Geschichte dieser beiden Künstler zu erinnern. Polia-
koff galt bereits in den frühen fünfziger Jahren als Hauptex-
ponent der neuen «Ecole de Paris», Tobey, an der Westküste
Amerikas wirkend, wurde hingegen lange Zeit unterschätzt
und in Europa erst nach den in New York und Washington
wirkenden «Amerikanern» entdeckt. Auch wenn Tobey
seinen Lebensabend in Basel verbracht und deshalb gerade
in der Schweiz viele Beziehungen gepflegt hat, so ist sein
Name doch nie ganz seiner wirklichen Bedeutung entspre-
chend populär geworden. Er hat sich aber einen besonders
treuen Kreis von Liebhabern erworben und erhalten
können. Wie ganz anders Serge Poliakoff! Der frühe Ruhm
ist einer Phase der Vernachlässigung gewichen und erst in
allerjüngster Zeit haben seine Werke an Auktionen wieder
bedeutende Preise erzielen können. Schon in den frühen
fünfziger Jahren war ja seine Reputation nicht ganz unbe-
stritten. Sehr treffend scheint mir Max Eichenberger die
Situation 1952 erfasst zu haben, als er in einer Reihe von
essayistischen Kurzportraits der damals im Kunsthaus aus-
stellenden Künstler schrieb: «Poliakoff ist heute der durch
Akklamation ernannte Kosakenhetman der Pariser Jungab-
strakten». Schlägt nicht in dem gesucht gelehrten und
zugleich saloppen Begriff des «Kosakenhetmans» präzis
jene Stimmung durch, die damals offensichtlich vor-
herrschte? Man bewunderte Poliakoff, spürte seine Kraft,
ine der zentralen Persönlichkeiten zu sein; aber in seiner
Beförderung zum Kosakenhäuptling der Jung-Abstrakten
schlägt auch eine gewisse Skepsis durch.