einer emphatischen Ausdruckshaltung wirft er inspiriert
den Kopf in den Nacken und reisst den Arm in die Höhe:
«Haltung» im doppelten Sinn war Baselitz schon bei seinen
«Helden»-Bildern der mittleren sechziger Jahre wichtig; die
Ambivalenz von Heroismus und Schwäche ist geblieben.
Haltung gehört zu den zentralen menschlichen Befind-
lichkeiten und teilt sich als psycho-physische Einheit dem
Betrachter spontan und eindringlich mit; der sprachlichen
Analyse kaum zugänglich, zählt sie zu den wichtigsten, der
bildenden Kunst ganz eigenen Ausdruckswerten. Als
«Schilderer» hält der Maler ein Schild mit runenhaften Zei-
chen hoch, das an Bilder seines alten Dresdener Freundes
Penck erinnert; an die Stelle der Finger tritt als ihr Werk ein
weisser Farbstrich. Die Tragstange scheint in den Körper
einzudringen und hinten in der fussförmigen Stütze eine
Fortsetzung zu finden: ein anspielungsreicher, aber kaum
klar zu deutender Sachverhalt. Ebenso ambivalent liest
sich das Verhältnis des Protestschildes zum Stilleben: rät-
selhaft aus dem Innern wachsendes Urbild und distanziert
objektivierte Verwirklichung oder forderndes Engagement
gegenüber autonom abgehobenem Kunstwerk? Oder
bedeutet der impulsiv mit den Fingern darüber gezogene
Strich gar die Verneinung und Ablehnung der Botschaft
des Schildes? Trotz der extremen Gestik ist offensichtlich
das «clare et distincte» der klassischen Rhetorik dem <je
dunkler desto inniger» Hamanns und des Sturms und
Drangs gewichen.
Merkwürdig unsicher stellt sich die Beziehung zum
Boden dar, der ebensowenig wie sonst irgendein räumli-
ches Flement angedeutet wird. Das Bein steht so vor allem
zum weissen Winkel in Beziehung: Tritt zum Aufsteigen,
Betschemel zum Knien oder hindernder Block? In einem
Raum seines Wohnsitzes Derneburg hat Baselitz die Ver-
grösserung eines manieristischen Kupferstiches mit einer
Kerkerszene aufgehängt: die Füsse der Gefangenen stecken
in schweren Holzblöcken. Gleich ergeht es dem «Modell
für eine Skulptur», der ersten Plastik von Baselitz, die von
einer Skulpturenausstellung in der Kunsthalle Bern ange-
regt insbesondere unter dem Eindruck der Zürcher
Matisse-Reliefs entstand und schliesslich an der Biennale
allein und anstelle des «Strassenbildes» und der drei Dipty-
chen im deutschen Pavillon gezeigt wurde. Eine auffällige
Ähnlichkeit in Haltung und Körperbildung verbindet den
Maler des «Ateliers» mit dieser Figur, die sich mühsam und
ekstatisch aus dem rohen, liegenden Holzquader auf-
richtet, in dem die erst aufskizzierten Beine noch unge-
schaffen verborgen sind. Gemeinsam ist nicht nur die neue
plastische Energie und Bestimmtheit, die von der Skulptur
in die Malerei zurückwirkt, sondern das Thema des
Ursprungs im schöpferischen Akt, der zugleich auch den
Schöpfer neu bestimmt.
«Gruss aus Oslo»
Die Suche nach dem Ursprung bestimmt Baselitz bei
seiner Arbeit am Holz allgemein: schon rein vom natürli-
chen Werkstoff, der anstrengenden körperlichen Tätigkeit
und dem gegenständlichen Charakter des Resultats hebt
sich die Holzbildhauerei als urtümlich direkt von der raffı-
nierten Malerei mit ihren unendlichen illusionistischen
Möglichkeiten ab. Das Medium bietet selbst die Energie
steigernden Widerstände, die bei Bildern erst künstlich
errichtet werden müssen; viel weniger abgenützt, ist hier
die protestantische «Unmittelbarkeit zu Gott» eher zu
erreichen. Baselitz ist es wichtig, beim Arbeiten die —natür-
lich illusorische — Vorstellung zu haben, als erster und ein-
ziger solche Dinge zu machen: und tatsächlich nähern sich
ein paar seiner überhaupt seltenen Skulpturen jener frag-
losen Selbstverständlichkeit und Präsenz, die prähistori!-
sche oder aussereuropäische Kultfiguren auszeichnen.
Auch dem «Gruss aus Oslo» eignet dieses Kultbildartige
in hohem Masse; die übermenschliche Grösse und die
frontale Symmetrie, die bannend hervorquellenden
Augen, die sich dem Betrachter gewaltig entgegenwöl-
benden Brüste, die barbarisch rot bemalte Eiform des
Kopfes üben eine magische Wirkung aus. Der Titel verweist
auf Edvard Munch, dessen späte, existentielle Extremsitua-
tionen malerisch reflektierende Selbstbildnisse Baselitz
stark beschäftigten und zu mehreren Bildern anregten. Aus
diesen blicken frontal ähnlich starr aufgerissene Augen; die
gigantische Tropfenform der Nase erinnert an die auf die
Spermen seiner «Madonna» zurückgehenden, organisch-
jugendstilhaften Blasen, die Baselitz in anderen Gemälden