HINWEIS AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
GLANZ UND ENDE DER ALTZÜRCHER MALEREI -
ZUR NEUEN ALTARTAFEL HANS LEU DES JÜNGEREN
Selten nur finden sich nennenswerte Tafelgemälde der
deutschen Spätgotik oder Frührenaissance, die dem liebe-
vollen Eifer der gerade in diesem Bereich emsig tätig gewe-
senen Kunstgeschichtsschreibung entgangen sind; noch
seltener eröffnen solche Funde neue Perspektiven. So
armöglichte die 1986 dank der Zünfte nach Zürich zurück-
gekehrte «Enthauptung eines Heiligen» des älteren Zürcher
Nelkenmeister eine Malerpersönlichkeit zu fassen, von der
nur noch Schulwerke erhalten waren, und die zu der auch
in der Glasmalerei führenden Familie Zeiner gehört haben
dürfte.! Wiederum aus französischem Privatbesitz, der im
Windschatten zumal der deutschen Forschung liegt,
tauchte nun erstaunlicherweise eine weitere, ungewöhnlich
bedeutende altzürcherische Tafel auf, die von der Zürcher
Kantonalbank dem Kunsthaus geschenkt wurde. Sie
stammt von Hans Leu dem Jüngeren, der hier bisher nicht
vertreten war, und gibt zum ersten Mal eine Anschauung
von den prächtigen Altartafeln, die im Mittelpunkt seines
Schaffens standen und im Bildersturm untergingen.
Hans Leu der Jüngere war der letzte bedeutende Zürcher
Künstler vor der Reformation und zugleich der erste, der
seine Arbeiten signierte: so ist er die einzige Malerpersön-
ichkeit der altzürcherischen Kunst, von deren Leben und
Werk wir uns noch heute eine klare Vorstellung bilden
<önnen.? Sein Vater, Hans Leu der Ältere, stammte aus
Baden, kam als Geselle anscheinend an den Oberrhein und
ns Schwäbische und liess sich in Zürich nieder. 1489
erscheint er erstmals in den Rechnungen des Grossmün-
sters, ab 1496 häufen sich die Zahlungen: man darf
annehmen, dass sie sich u. a. auf die grossen Tafeln mit dem
Martyrium der Stadtheiligen bezogen, die dank der Stadt-
ansicht im Hintergrund wenigstens als Fragmente überleb-
ten.? Stilistisch schliessen sich ihnen als frühere Werke die
vier grossen Tafeln eines Michaelsaltars im Kunsthaus an,
die heute allein einen gültigen Eindruck von den bedeu-
tenden Fähigkeiten dieses mit Nelken zeichnenden
Meisters vermitteln.“ Die Schablone für das Ornament des
Goldgrundes verwendete er für die Grossmünster-Tafeln
wieder; später griff sein Sohn bei den gebogenen Altarflü-
geln im Landesmuseum* und noch bei unserer neuen Tafel
auf sie zurück. Daraus erhellt zugleich, dass die Werkstatt
nach dem abrupten Tod des Vaters 1507 nicht aufgelöst
wurde; im gleichen Jahr folgten noch Zahlungen an die
Witwe, den überlebenden Hans und seinen Bruder, den
Glaser Jakob.®
Hans Leu wurde also um 1490 geboren und lernte bei
seinem Vater, war aber bei dessen Tod zu jung, die Werkstatt
weiterzuführen. Vielleicht vollendete er seine Lehrzeit bei
dem etwas weniger begabten, aber fortschrittlicheren Veil-
chenmeister; in dessen 1506 datierten Tafeln aus der Span-
weid-Kapelle im Landesmuseum klingt bereits jene stim-
mungsvolle Einheit von Figur und Landschaft an, welche
die Kunst Leus auszeichnen wird.’ Seine erste bekannte
Arbeit ist eine 1510 datierte Kopie nach einer Komposition
Hans Baldung Griens, die dieser während seines Aufent-
haltes in der Werkstatt Dürers für ein Glasgemälde
entworfen hatte.? Leu muss also Geselle bei Baldung, der
mittlerweile nach Strassburg zurückgekehrt war, oder in
Nürnberg gewesen sein; früher hielt man letzteres schon
durch die Grüsse, die Dürer 1523 Hans Leu in seinem Brief
an Propst Felix Frey ausrichten lässt, für erwiesen.* Mögli-
cherweise lernte der Nürnberger Meister seinen Kollegen
aber auch erst bei seinem Besuch in Zürich 1519 kennen. So
bleibt es eine vage Vermutung, dass Leu auf seiner Wander-
schaft zu Dürer gekommen sei, und das gleiche gilt für sein
Verhältnis zu Erhard oder Albrecht Altdorfer, deren Land-
schaftsauffassung ihm so auffällig nahe steht.!° Denn nur,
was durch Druckgraphik oder durch Werke Baldungs
vermittelt worden sein kann, scheint Leu aus deren Kunst
aufgenommen zu haben, während die Malpraxis keinerlei
Einwirkungen aus diesen Bereichen aufweist.
Leu weilte also 1510 in Strassburg bei Hans Baldung
Grien, dem bedeutendsten Schüler Dürers, einem weltof-
fenen Kopf mit engen Beziehungen zu den Humanisten,