Johannes an den Holzschnitt des Judas Thaddäus;?? sein
Gesicht mit dem durchlaufend flach geschwungenen Brau-
anbogen, das Rieseln der Flechten und Blätter, das Orna-
ment des Goldgrundes gehören zu Leus Atelierinventar.
Man muss dies bemerken, denn das Monogramm HL
könnte trotz der für Leu typischen Ligatur auch auf einen
anderen, unbekannten Meister mit den gleichen Initialen
hinweisen. Bedenklicher ist die plumpe Form und Anord-
nung der Buchstaben und Zahlen, die der Meister sonst
diskret abseits oder dekorativ elegant anbringt. Der
Verdacht, es handle sich hier um eine «Aufbesserung»
durch einen skrupellosen Kunsthändler des 19. Jahrhun-
derts galt es durch farbtechnologische Untersuchungen
auszuräumen.? Obwohl die Angaben also eindeutig aus
der Zeit stammen, muss es eine eigene Bewandtnis mit
ihnen haben.
Damit kommen wir zu den historischen Umständen, in
die diese Tafel zu stellen ist und die sie gezeichnet haben.
Aus dem gleichen Jahr 1521 stammt das einzige erhaltene
Schreiben von Hans Leu, ein Brief an den Rat der Stadt
Zürich.?! 1519 hatte er sich trotz des Verbotes der Obrigkeit
als Fähnrich für einen Kriegszug Herzog Ulrichs von Würt-
temberg werben lassen; mit den übrigen Zürchern zurück-
befohlen, wird er 1520 um fünfzig Pfund gebüsst. Anschei-
nend konnte er diese hohe Summe nicht aufbringen und
wich aus der Stadt. Nun bittet er um Gnade und freies
Geleit, da sein Schwiegervater gestorben sei und er zum
Erbe seiner verwaisten Kinder sehen müsse. Er sei früher
nie vor Gericht gestanden und hätte sein Vergehen nicht für
so schwer erachtet, vor allem aber, schreibt er, «erman ich
äch, welind [wollet] an sen, das ich mich mit minem
hanthwerk nit mer erner [ernähren] mag.» Die Reforma-
tion wirft ihre Schatten voraus; die Konjunktur der Altar-
malerei geht nach einer langen Blütezeit ihrem abrupten
Ende entgegen, und auch die freie Reisläuferei, in die Leu
mangels Aufträge ausweichen wollte, wird nicht mehr
geduldet, sondern als Sittenverderbnis drakonisch bestraft.
Ob sich einer der Ratsherren von Leus Brief und seinen
Schwierigkeiten bewegen liess und das wieder aufgefun-
dene Bild in Auftrag gab oder vermittelte? Es mag seine
letzte Altartafel gewesen sein; ein wieder flüchtig mit
billigen Farben gemaltes Passionsbild von 1522, das ihm
wohl zu Recht zugeschrieben wird,® eignet sich nicht mehr
für einen Altar; vielmehr machen sich in seiner grossen
deutschen Inschrift bereits reformatorische Vorlieben
geltend. 1523 predigt Leo Jud in St. Peter «wie man us der
göttlichen gschrifft bewären möcht und recht wäre, dass
man die götzen uss den kilchen tuon söllte».?3 Verschie-
dene Nachtbuben lassen sich dies nicht zwei Mal sagen,
und es kommt zu ersten Zerstörungen. Am 15. Juni 1524
erlässt der Rat das Mandat zur Entfernung der Bilder, die als
obrigkeitliche Massnahme vom 20. Juni bis zum 2. Juli
hinter verschlossenen Kirchentüren systematisch durchge-
führt wird. Damit begann der grosse reformatorische
Bildersturm, der in den folgenden Jahren grosse Teile
Südwestdeutschlands durchzog und später bis nach Frank-
reich und in die Niederlande ausstrahlte, während sich
Luther noch im gleichen Jahr dagegen wendet mit seiner
Schrift «Wider die himmlischen Propheten, von den
Bildern und Sakrament.»
Der Bildersturm bedeutete für über zwei Jahrhunderte
das Ende einer höheren Kunstausübung in Zürich.
Weiterhin zulässig waren Portraits, wie sie Hans Asper ın
naiv dinglicher Weise von den neuen Machthabern lieferte,
und die ım gesellschaftlichen Geschenkverkehr zentralen
Kabinettscheiben.?*t Trotz seinem Naturgefühl war Leu
kein guter Beobachter, und so kennt man von ihm keine
Bildnisse. Hingegen hat sich noch ein Scheibenriss von
1526 mit «Loth und seinen Töchtern» erhalten; der nun
plötzlich von Holbein bestimmte Stil ist ebenso bezeich-
nend für den neuen Geschmack wie das zwar biblische,
aber zugleich moralisch zweideutige und pervers laszive
Thema. Im Jahr vor dieser letzten datierten Zeichnung
erinnerte sich Leu seiner Jugend und griff ein Lieblings-
thema seines Lehrers Baldung auf «Der Tod und das
Mädchen.»3 1525 steht Leu mit seinem Bruder Felix, den
die Fryburger lutherischer Umtriebe und liederlichen
Lebenswandels halber seiner Pfründe entsetzt hatten, mit
weiteren Verwandten und Kumpanen vor Gericht, da sie
gegen die neue Ordnung ausgerufen hatten. 1526 wird er
wegen der alten Reisläuferei-Geschichte in den Wellenberg
gelegt und verdächtigt, fremde Pensionsgelder zu nehmen.
Er ist sich seines «liederlichen wäsens» bewusst, verdient
nichts mehr, sondern vertut im Einverständnis mit seiner
Gattin deren Gut. 1526 und 1527 weist ihm der Rat Arbeiten
zu. Am 4. Oktober 1531 weilt er in Aarau, wo er die Turmuhr