malte, und steigt mit dem Stadtschreiber und den
Gesandten von Strassburg und Konstanz, die den Frieden
zwischen den reformierten und katholischen Eidgenossen
vermitteln sollen, auf die Gislifluh; man isst und trinkt,
und Leu zeichnet die Aussicht. Drei Wochen später fällt
ar im Gefecht am Gubel.7
Übel also haben die reformatorischen Zeitläufe Hans
Leu mitgespielt. Wie aber erging es unserer Altartafel in
jener Woche im Sommer 1524, als unter der Leitung der
Prediger die Kirchen «gereinigt» wurden ? Vermutlich stand
sie in einer rechten Seitenkapelle, wie die Lichtführung von
rechts und die Blickrichtung nach links vermuten lässt;
vielleicht hatte sie bemalte Flügel, jedenfalls aber stand
neben der Maria noch eine weitere Figur, von der sich
gerade noch der Gewandzipfel unten rechts erhalten hat.
Weshalb entging aber der grössere Teil der Zerstörung?
Bevor es zu dieser kam, hatte der Rat bereits am
19. Dezember 1523 und am 8. Juni 1524 gemässigtere
Beschlüsse zu dieser Frage gefasst, die aber der revolutio-
nären Stimmung im Volk nicht zu genügen vermochten.
Im ersten wurde der Einbezug der Bilder in den Kult abge-
schafft, im zweiten ihre Entfernung, nicht aber die Zerstö-
rung angeordnet, in beiden aber den privaten Stiftern
erlaubt, die von ihnen gestifteten Werke nach Hause zu
nehmen.? Davon profitierte wohl jener unbekannte
Auftraggeber, der kaum zwei Jahre zuvor die Tafel mit
Maria und Johannes bei Leu bestellt und teuer bezahlt
hatte. Entweder hatte er sich mittlerweile selbst der neuen
Lehre in gemässigter Form zugewandt oder er fügte sich
den gesellschaftlichen Pressionen: jedenfalls reduzierte er
die Altartafel auf ein Bild der drei biblischen Personen und
schnitt die dabei stehende Heilige ab. Und wie um den
neuen profanen Charakter des Gemäldes als Kunstwerk zu
unterstreichen, liess er unübersehbar gross Signatur und
Datum darauf setzen: nicht mehr die Heiligen zur Anbe-
tung, sondern das Werk des Künstlers Hans Leu wird dem
Betrachter vor die Augen gestellt. So manifestiert sich in
dieser Tafel nicht nur die letzte Höhe der altzürcher
Malerei, sondern auch ihr Untergang, und mit dem Bilder-
sturm als dem wichtigsten Beitrag Zürichs zur abendländi-
schen Kunstgeschichte zugleich der Übergang zu einem
neuen Bildverständnis.
Christian Klemm
Anmerkungen
1 Dazu im Jahresbericht 1986 S. 89-94, neuerdings Christoph und Doro-
thee Eggenberger: Malerei des Mittelalters (Disentis 1989, = Ars Helve
tica V) S. 269-271, Abb.
Die Rekonstruktion des Lebenslaufs und zugleich die Trennung vom
Vater erarbeitete Paul Ganz anhand der Akten: Paul Ganz: Die Familie
des Malers Hans Leu von Zürich (Zürcher Taschenbuch, NF XXIV 1901
5$.154-179, XXV 1902 S. 187-202). Die Rekonstruktion des Werkes ver-
dankt man: Walter Hugelshofer: Das Werk des Zürcher Malers Hans Leu
(Anzeiger für schweizerische Altertumskunde, NF XXV 1923 S. 163-179,
XXVI1924 S. 28-42, 122-150). Seither erweiterte sich das schmale (Euvre
um ein Gemälde (Gefangennahme Christi, Basel, s. Anm. 20) und mehrere
Zeichnungen: monogrammiert und datiert Hieronymus (1518, Oxford,
3. Anm. 23), Pieta (1519, Cambridge/Mass., s. Anm. 23), nur mit Mono-
gramm Scheibenriss mit Malteser (s. Anm. 21), unbezeichnet Gerhsemane
(1520, Basel, s. Anm. 23) und Landschaften in Basel, Budapest, Leningrad
und Nürnberg (s. Anm. 14). Bei dem wenig ausgeprägten Stilprofil von
Leu fällt die Zuschreibung von Wandgemälden und das Erschliessen von
Vorlagen aus Glasmalereien und Buchholzschnitten schwer; die Kritik
scheint in der Regel zu optimistisch. Dazu zuletzt: Lucas Wüthrich:
Wandgemälde von Müstair bis Hodler. Katalog der Sammlung des
Schweizerischen Landesmuseums (Zürich 1980) Kat. Nr. 88-116. Am
nächsten die Räderung des hl. Felix aus der ehem. Stephanskapelle in
Zürich, stilistisch und qualitativ kaum anzuschliessen die Fresken aus
dem Klauser-Haus in Luzern (1523). Bernhard Anderes/Peter Hoegger:
Die Glasgemälde im Kloster Wettingen (Baden 1988). Frank Hierony-
mus: Oberrheinische Buchillustration 2. Basler Buchillustration 1500-
1545 (Ausst. Kat. Universitätsbibliothek Basel 1984) s. Register.
Zu diesen Tafeln anlässlich ihrer Restaurierung Emil D. Bosshard,
Renate Keller und Lucas Wüthrich in Zeitschrift für schweizerische
Archäologie und Kunstgeschichte, XXXIX 1982 S. 145-180, ein neuer
Rekonstruktionsvorschlag bei Daniel Gutscher: Das Grossmünster in
Zürich (Bern 1983) S. 141 f.
Zu diesen P. Maurice Moullet: Les maitres A l’ceillet (Basel 1943); Alfred
Stange: Deutsche Malerei der Gotik (Bd. VII, München 1955) 5.74
Abb. 156, 161f. - Das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft
/Christian Marty, Charlotte Gutscher-Schmid, Susan Atherly) führt
gegenwärtig ein Forschungsprojekt über die Nelkenmeister unter be-
sonderer Berücksichtigung der Infrarotrectographie durch.
Renate Keller (wie Anm. 3) S. 171. Wie mir Rolf Keller freundlicherweise
mitteilt, findet sich derselbe Pressbrokat auf zwei Altarflügeln mit Heili-
gen, Joachims Opfer und der Begegnung an der Goldenen Pforte, die im
Museum Zug mit einem nicht zugehörigen Schrein von 1519 verbunden
sind. Rolf Keller: Der Zuger Flügelaltar von 1519 (Tugium, I 1985 S. 100-
122, Abb. S. 100).
Ganz 1901 5.161, ferner 5.167 f. Der 1497 f genannte «Malers Knab»
kaum identisch mit dem jungen Hans, hingegen der Hans «der Jung»
von 1504: damals wird er die Lehre begonnen haben, wohl wie üblich mit
14 Jahren, woraus sich ein Geburtsdatum um 1490 ergibt. Eine sorgfältige
Zusammenstellung und Interpretation der Quellen bleibt noch zu lei-
sten.
Obwohl der Zusammenhang schon Hugelshofer auffiel, wurde die
naheliegende Kombination anscheinend nie vorgeschlagen. Hingegen
hält Bernd Konrad Leu für einen Lehrling des Veilchenmeisters und
wirft sogar die rhetorische Frage auf, ob die beiden nicht identisch seien.
Interessant ist sein Nachweis der künstlerischen Herkunft des Veilchen-
meisters aus der Konstanzer Werkstatt des Hohenlandenberger-Altars.