Full text: Jahresbericht 1990 (1990)

Wie bei soviel sinnlich spontaner Oberflächlichkeit 
noch jene faszinierende Tiefe oder psychische Dichte 
möglich ist, gehört zu den beunruhigenden Rätseln von 
Manets Kunst. Die Virtuosität, mit der er etwa das Meer 
in der «Flucht Rocheforts» malte, kam für einen Teil seiner 
Freunde in fatale Nähe zur atemlosen Pinselfertigkeit 
Boldinis und seiner Modebildnisse, brillanteste Aus- 
formungen des «chic parisien», der sich gerade in Pastell 
bis in die Niederungen der Pflasterkünstler und Jahr- 
marktsportraitisten grosser Popularität erfreute. 1878 wurde 
de Nittis mit der Ehrenlegion dekoriert; möglicherweise 
suchte auch der zu seinem Schmerz noch stets verkannte 
Manet mit dem leichten Genre des weiblichen Pastellpor- 
traits, bei dem im Gegensatz zur Ölmalerei die offene 
Faktur kaum Anstoss erregen konnte, den öffentlichen 
Erfolg. Jedenfalls stellte er 1880 in der Galerie der «Vie 
moderne» überwiegend solche Arbeiten aus, von denen 
freilich nur zwei verkauft wurden. Hingegen erlebte er 
[882 noch, dass eines seiner Bilder im Salon auf allgemeine 
und begeisterte Zustimmung stiess; Huysmans bemerkte 
die Rückwirkung der Pastelltechnik auf das gezeigte Bildnis 
der Jeanne de Marsy als «Printemps»: «C’est un portrait 
tout charmant, oü l’huile prend des douceurs de pastel, oü 
la chair est d’un duvete, d’une fleur de coloris delicieuse.» 
Die «Espagnole» weicht in verschiedener Hinsicht von 
den anderen Pastellbildnissen Manets ab und entfernt 
sıch in ihrer künstlerischen Kühnheit von üblichen Mode- 
portraits. Der nachdenkliche, nach innen gerichtete Blick, 
dem doch eine gewisse intellektuelle Schärfe eignet, unter- 
scheidet sich von den problemlos extrovertiert eleganten 
Gesichtern der meisten dieser Damen; das Ungewöhnliche 
wird durch die Konzentration auf die Augen betont, neben 
denen alles übrige an Formbestimmtheit verliert. Die 
Schleier, die am Hütchen befestigt den Kopf wie ein Nebel 
umfangen, bilden eine Aura, in der das Gesicht als flüchtige 
Vision erscheint. Während Büste und Hintergrund sonst 
öfters ähnlich unausgeführt bleiben wie bei den damals 
beliebten, sich gegen den Rand ins Weisse verlierenden 
Photographien, erhält die Unschärfe und Offenheit hier 
zine andere Bedeutung. Die impressionistische Ästhetik 
des Augenblicks, des kaum wahrnehmbar Vorübergleitens, 
des Verschwindens findet hier eine extreme Form, in der 
die Schwere des Gegenstandes ganz in der sinnlichen 
Präsenz des hauchzarten Farbstaubes aufgehoben ist. Doch 
dies Ätherische hat nichts von der blassen Kraftlosigkeit 
Carrieres, sondern entsteht aus den überraschenden, span- 
nungsvollen Zufällen einer Phantasie, die künstlerische 
Intelligenz und lebendige Spontaneität vereint. Zwischen 
den äusseren Bereichen, in denen das Pigment fast formlos 
als reine Farbfläche wirkt, und dem kleinen fokussierten 
Zentrum um die Augen entfaltet sich in genialer Freiheit 
jenes Zwischenreich des Malerischen, in dem jeder Strich 
und Wischer seine eigene Energie mit einer inhaltlichen 
Andeutung vereint und zugleich ein geheimnisvolles 
Drittes ahnen lässt. a 
Christian Klemm 
Geschichte und Literatur zur «Espagnole» finden sich verzeichnet in Denis 
Rouart/Daniel Wildenstein: Edouard Manet (2 Bd., Lausanne 1975) Bd. II 
5. 4 Nr. 10. Das französische Zitat über die Cafe-Concert und die Bemer- 
ungen über «Chez le Pere Lathuille» —ohne den bisher nicht geäusserten 
(dentifikations-Vorschlag zur «Espagnole» — nach A. Tarabant: Manet et 
ses ceuvres (Paris *1947) S. 314, 352 £, ebendort die Kritik Huysmans S. 442. 
ROBERT RYMAN: «CORRESPONDENT», 1989 
Als das Kunsthaus 1985 das erste Bild von Robert Ryman 
erwarb, war man sich darüber im klaren, dass eigentlich erst 
in der Zusammenschau mehrerer Bilder die Absicht des 
Künstlers klar zutage tritt. Man beschloss deshalb bereits 
damals, die Neuerwerbung in der Zukunft durch weitere 
Werke zu ergänzen.! Da das Bild «Counter» von 1983 in 
einem sehr gleichmässigen Duktus gemalt ist und eine nur 
wenig strukturierte Oberfläche aufweist, ging das Bestreben 
dahin, ihm ein reichhaltiger strukturiertes, malerisches 
Werk zur Seite zu stellen. Dies ist nun nach jahrelangen 
Bemühungen mit dem Erwerb von «Correspondent» von 
1989 in überzeugender Weise gelungen.? 
Der 1930 in Nashville/Tennessee geborene Robert 
Ryman widmet sich seit Mitte der fünfziger Jahre der Unter- 
suchung der grundlegenden Bedingungen von Malerei, 
wobei er sich auf das Quadrat und die Farbe Weiss konzen- 
triert. Dies ermöglicht ihm eine unbelastete Auseinander- 
setzung mit allen Elementen, die Bestandteile eines Bildes 
sind. So untersucht er die Wirkungen von unterschiedli- 
chen Farbmaterialien, wie Öl, Kasein, Emaillack oder
	        
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