Full text: Jahresbericht 1990 (1990)

Kunststoffarben, auf verschiedenen Bildträgern, wie Lein- 
wand, Fiberglas, Wachspapier, Holz oder Metall. Er 
erforscht die Zusammenhänge zwischen dem Bild und 
seiner Aufhängung, die Wechselwirkung von Bild und 
Wand, die Probleme der Bildbegrenzung und vor allem die 
Art des Farbauftrags, der eigentlichen «Peinture». «Es geht 
nie darum, was man malt, sondern immer nur, wie man 
malt. Das ‘Wie’ des Malens hat seit jeher das Bild — das 
Ergebnis —ausgemacht» (Robert Ryman).? Die formale und 
farbliche Beschränkung hindert Ryman nicht daran, einen 
vielfältigen Reichtum innerhalb seiner Bilder zu entfalten. 
Das lässt sich allein schon im Vergleich der beiden Werke 
des Kunsthauses ermessen, deren Titel im übrigen, wie 
meist bei Ryman, nicht in Beziehung zu dem Bild stehen, 
sondern nur die Unterscheidung erleichtern. Dem eben- 
mässig glatten und kaum strukturierten Auftrag der Ölfarbe 
auf dem Bildträger Fiberglas in «Counter»» von 1983, in 
dem jegliche Pinselspur verschwindet, steht in «Cor- 
respondent» von 1989 eine reichbewegte Reliefstruktur 
von mehrfach übereinandergelegten, pastosen Farbbahnen 
gegenüber, in denen der Malgestus in den sichtbaren 
Pinselspuren ablesbar ist. Lässt man sich auf das Bild ein, so 
spürt man, dass die auf den ersten Blick unregelmässig 
erscheinende Struktur von einem schwingenden, wellen- 
förmigen Rhythmus bestimmt wird, der über die gesamte 
Fläche durchgehalten ist und sie aktiviert. Einer nach 
unten geschwungenen Kurve antwortet — etwas versetzt — 
ein ähnlicher, nach oben gewölbter Bogen, einem schräg 
nach oben weisenden Zug entspricht eine diagonal 
absteigende Spur. So folgen sich Zug und Gegenzug, 
Schwung und Gegenschwung in tänzerischer Bewegung, 
die sich unmittelbar auf den Betrachter überträgt, vor 
allem auch dadurch, dass er durch die monumentalen 
Ausmasse (330x320 cm) beinahe körperlich in das Bild 
hineingezogen wird. Dabei kommt einem in den Sinn, 
dass Robert Ryman nach Beendigung seiner Militärzeit 
1952 als Jazzmusiker nach New York ging, ihm der musi- 
kalische Rhythmus also im Blut liegt. 
Die Ölfarbe ist so dickflüssig aufgetragen, dass sie sich 
an den Rändern der Farbbahnen in Wülsten und Graten 
hochstülpt und an den Noppen der Leinwand in Knötchen 
hängenbleibt. Darübergelegte Pinselstriche haben die 
Farbe, wenn sie nicht ganz trocken war, mitgerissen, so dass 
die Grate häufig abgeflacht und weich erscheinen, im 
Gegensatz zu früheren Bildern, in denen Ryman solche 
Grate oft scharf stehengelassen hat. An anderen Stellen 
bleibt die darunterliegende Pinselspur gut sichtbar, da die 
Farbe vor dem Auftragen der neuen Schichten ganz 
getrocknet war. Die vielfältig strukturierte Oberfläche 
erhält zusätzliche Lebendigkeit durch das Nebeneinander 
von dunkleren, matten und helleren glänzenden Lagen, die 
ins Auge fallen, wenn man das Bild mehr von der Seite 
betrachtet, was Ryman sehr wichtig ist. Dieser Unterschied 
in der Wirkung hängt jedoch nur vom Lichteinfall und 
vom Blickwinkel des Betrachters ab: je nachdem ob das 
Licht quer zum Pinselstrich einfällt oder in seiner Verlaufs- 
richtung, ob es auf Farbwülste oder Farbtäler trifft, 
erscheinen die Farben matter oder glänzender, obwohl das 
ganze Bild in derselben weissen Ölfarbe aufgebaut ist.“ Die 
Veränderbarkeit der Bildmaterie durch das Licht ist sicher 
ein wichtiger Grund für Rymans Bevorzugung der Farbe 
Weiss vor allen anderen Farben. Das Weiss interessiert ihn 
nicht in seiner symbolischen oder metaphysischen Bedeu- 
tung wie etwa Malewitch, der mit seinem «Weissen Quadrat 
auf Weiss» die «reine Gegenstandslosigkeit» demonstriert 
und mit dieser äussersten Reduktion die Malerei an einen 
«Nullpunkt» geführt hatte. Ryman meint im Gegenteil: 
«Ich sehe mich nicht als jemand, der weisse Bilder macht, 
ich mache Bilder; ich bin ein Maler. Weisse Farbe ist mein 
Medium.» Und an anderer Stelle: «Ich benutze Weiss, weıl 
es neutral ist — es ist eine Farbe, die erlaubt, dass andere 
Dinge in dem Werk hervortreten. Die Oberfläche, die 
subtilen Farben der Oberfläche, die Textur, die Malerei 
als Ganzes.» Die Einfarbigkeit bildet die Voraussetzung 
dafür, dass sich das Licht durch die Strukturen artikulieren 
kann, und das Weiss ist die Farbe, die das Licht am besten 
reflektiert. Immer wieder spricht Ryman von der Licht- 
reflektion und der Lichtabsorption. «Ein Bild von miı 
besteht aus der bemalten Oberfläche und der Kompo- 
sition, der Lichtreflektion und der Lichtabsorption, den 
Rändern und der Struktur des Bildes selbst, sei es Leinwand 
oder Plastik... und dann der sichtbaren Komposition der 
Aufhänger...»7 Die Farbe ist bei Ryman von allen Ab- 
bildungszwängen befreit, aber auch von der Fessel, 
Ausdruckswerte übermitteln zu müssen, wie im Abstrakten 
Expressionismus, von dem er sich in seinen malerischen
	        
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