Full text: Jahresbericht 1990 (1990)

Anfängen entschieden abgesetzt hatte. Seine Malerei 
verweist nur auf sich selbst; sie will nichts «darstellen», was 
sich ausserhalb ihrer selbst befindet. Sie ist anti-illusioni- 
stisch und ohne traditionelle «Komposition». An die Stelle 
der hierarchischen Gliederung der Bildgegenstände sind 
seine Strukturen getreten, in denen die Einzelformen 
ihre Funktion erst im bildnerischen Zusammenhang 
srlangen. 
In «Correspondent» ist die Stärke des Pinsels bei allen 
übereinandergelegten und sich durchkreuzenden Farb- 
bahnen die gleiche. Das trägt zu dem gleichmässigen 
Rhythmus bei, der mit unglaublicher Konzentration über 
die grosse Fläche hinweg durchgehalten ist und erst zu 
den Bildrändern hin frei ausläuft. Hier tritt die etwas 
grauere Grundierung deutlicher in Erscheinung, die sonst 
infolge des dichten Oberflächengewebes bei der Farb- 
wirkung relativ wenig mitspielt. Den einzigen Kontrast zu 
der reliefartigen Struktur — und immer wieder wird der 
Blick von diesem Angelpunkt angezogen — bildet die 
flache, mit der Schablone gemalte Datierung «89», die 
direkt auf die Grundierung aufgetragen ist. An dieser 
Stelle wird die Tiefe des Bildes und damit sein Objekt- 
charakter betont. In ähnlicher Weise hatte Ryman bereits 
Ende der fünfziger Jahre die Datierung oder seine Signatur 
als Bildelement einbezogen.? Es ist vielleicht nicht von 
ungefähr, dass er mit der malerischen, reliefhaften Struktu- 
rierung von «Correspondent» ebenfalls auf frühe Werke 
zurückkommt.? 
Im Zuge seiner Untersuchung von Malerei bringt 
Ryman seit 1976 auch die Befestigungsvorrichtung als 
Bildelement ein. Jeder Teil eines Bildes ist für ihn von 
visueller Bedeutung. «Correspondent» ist mit zwei Stahl- 
schienen an der Wand befestigt, die nach oben und unten 
über das Bild hinausragen und das Licht in anderer Weise 
reflektieren als die Malerei. Sie sind so montiert, dass das 
Werk 9 cm von der Wand absteht. Mit dem Hineinragen 
in den Raum und mit der Einfassung durch das Metall, 
das oben an einigen Stellen weiss bemalt ist, bekommt das 
Bild ausgesprochenen Objektcharakter. Die Aufhängung 
muss den genauen Instruktionen des Künstlers folgen 
und darf unter keinen Umständen verändert werden: «The 
aesthetic integrity of this painting by Robert Ryman 
depends upon its being installed according to the 
accompanyıng instructions», steht auf der Rückseite des 
Bildes. Denn seine Bilder existieren in seinen Augen erst, 
wenn sie als Teil der Wand, als Teil des Raums an der Wand 
installiert sind. Erst dann kann das Werk in seiner 
ganzen Ausstrahlung wahrgenommen werden. Erst dann 
kann der Betrachter den schwingenden, tänzerischen 
Rhythmus von «Correspondent» emotionell nachvoll- 
ziehen und die Sinnlichkeit der vielfältigen Farbstruk- 
turen, in denen mehr als nur Weiss aufzuschimmern 
scheint, unmittelbar erleben. 
Ursula Perucchi-Petri 
Anmerkungen 
1Siehe Jahresbericht der Zürcher Kunstgesellschaft 1985, Abb. 18 und 
S. 96-99 
) Als Ergänzung dazu befindet sich in unserer Graphischen Sammlung 
das 1980 erworbene Hauptwerk seines graphischen (Euvres: 30 Probe- 
drucke sowie ein Exemplar der endgültigen Edition von «Circle Litho- 
graph», 1971 (vgl. Jahresbericht der Zürcher Kunstgesellschaft 1980, 
Abb. 19 und S. 95-98) 
Zitiert nach Ausstellungskatalog Robert Ryman. Whitechapel Art 
Gallery, London 1977, S.1 
Ich danke unserem Restaurator, Herrn Hans Peter Marty, für freundliche 
fachspezifische Auskünfte 
Phyllis Tuchmann. An Interview with Robert Ryman, in: Artforum, 
Mai 1971, 5. 15, zitiert von Christel Sauer, in: Robert Ryman. Ink. Halle 
für internationale neue Kunst, Zürich 1980 
Aus Interview mit Barbaralee Diamonstein, 13. Oktober 1977, in: Inside 
New York’s Art World 1979 
’ebenda 
Katalog Robert Ryman. Ink. Halle für internationale neue Kunst, Zürich 
980, Abb. 5.27 «Untitled», 1958 oder Abb. S. 31 «Untitled», 1959 
Auf die Frage von Yve-Alain Bois, ob es vielleicht einen Zusammenhang 
gäbe zwischen «a certain ‘return’ to his problematics of the late ‘50s» in 
einigen neuen Werken aus der Ausstellung der Pace Gallery 1990 (in der 
auch «Correspondent» gezeigt wurde) und der Tatsache, dass er gerade 
für eine Retrospektive in der Dia Art Foundation seine früheren Bilder 
intensiv habe durchsehen müssen, antwortete Ryman nur in der für 
ihn charakteristischen Zurückhaltung «that he had not ‘thought of 
ıt that way’.» (Katalog The Pace Gallery, New York 1990. Abb. 1)
	        
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