werk des Jahres «Das Malerbild»2, Juli 1987 bis Mai 1988. Der
Katalog zur Ausstellung «Das Motiv», die im Herbst 1988 in
der Kunsthalle Bremen stattfand, bildet die Gemälde
einem Wunsch Baselitz’ folgend nicht Seite für Seite, son-
dern als vielteilige Bilderaccrochagen im Atelier Derne-
burg ab.!® Denenige Zyklus, der in unserem Zusammen-
hang von grösstem Interesse ist, findet sich in diese Situa-
tion integriert: die 10teilige Gemäldeserie unter dem Titel
«6 schöne, 4 hässliche Portraits»,1* November 1988; es
handelt sich um 10 typisierte, keine Portraitähnlichkeit evo-
zierende Köpfe oder Brustbilder vor gemustertem Grund.
Es muss als ausgesprochen glückliche Fügung be-
zeichnet werden, dass 1989 das «Strassenbild» nach beinahe
einem Jahrzehnt der Einlagerung, im Rahmen der Ausstel-
lung «Neue Figuration: Deutsche Malerei 1960-1988» im
Kunstmuseum Düsseldorf erstmals wieder öffentlich zu
sehen war.!” Auch Baselitz selbst hat die Arbeit in der Zwi-
schenzeit nicht gesehen, die Wiederbegegnung hatte kata-
Iytische Wirkung: was sich mit den oben erwähnten
Arbeiten ankündigte, drängte zur Realisierung. Die Düssel-
dorfer Ausstellung wurde am 20. Mai eröffnet, am 2. Juni
entstand die erste Tafel zu «45», im September war das
Monumentalwerk beendet.
Wie soll man sich diesem in jeder Beziehung ausserge-
wöhnlichen Artefakt schreibend annähern? Wohl nicht
zufällig haben die beiden Autoren, die sich bislang am ein-
gehendsten damit auseinandergesetzt haben — Sigfried
Gohr und Franz Meyer!® — den Einstieg über die Feststel-
lung von Komplexität und Gegensätzlichkeiten gesucht.
Gohr stellt fest: «Tatsächlich bereitet dem Betrachter eine
angemessene Beschreibung des Werkes zuerst Schwierig-
keiten, denn wie hier Graphisches und Malerisches, Mate-
rial und Motiv miteinander verbunden oder gegeneinander
getrieben sind, berührt die Möglichkeiten des Reliefs, des
Holzschnitts, der Malerei, des Pastells und der farbigen Fas-
sung von Holzbildwerken.» Und etwas weiter unten: «Der
Gesamteindruck des Bildes «45» weckt beim Betrachter das
ungewöhnliche Gefühl des Zusammentreffens von qual-
voller Arbeit und Frische der Erfindung, von Langsamkeit
des Vorankommens und glücklicher Inspiration, von Mate-
rialhaftigkeit und Schwere sowie von der Überwindung
dieses lastenden Zustandes durch eine Malerei von pastell-
hafter Unmittelbarkeit und gestischer Treffsicherheit.»
Franz Meyer leitet seinen Text wie folgt ein: «Der erste Ein-
druck vor der gewaltigen Bilderwand: Das ist ja, was Maler
von je schon machen — und doch auf sehr beunruhigende
Art von Grund auf anders. Vielleicht haben wir diesen
Zwiespalt bei Baselitz schon erlebt. Denn er betreibt ja ganz
ausdrücklich das uralte Geschäft der Malerei, kann es aber
nur dann zu einem guten Ende bringen, wenn er das Bilder-
machen jedes Mal gänzlich neu anpackt. Insofern gilt der
Eindruck von seit je und doch ganz anders auch in Bezug
auf das eigene Werk, so als male Baselitz seit den Rayski-
Köpfen und dem Pandiämonium immer das selbe Bild, nur
eben jedes Mal in radikal neuer Weise.».
In seinem informativen Gespräch mit Heinz Peter
Schwerfel!’ hat Baselitz eingehend dargelegt, dass er streng
nach Plan arbeitet. Diese Pläne oder Programme sind
immer wieder neue Aufgabenstellungen in der Methodik
des Schaffensvorganges. («Einer der letzten Pläne führte
beispielsweise, schon nach der «Pastorale», zum sogenannten
«Malerbild», in welchem ich eine Methode anwandte, die ich
früher nie benutzt hatte. Diese Methode schliesst jede
Form von Übermalung aus. Das Bild ist von Anfang an so
gegliedert, dass nichts übermalt werden darf» ... «Jetzt im
Augenblick zum Beispiel male ich schon wieder nach
einem neuen Plan, indem ich ausschliesslich mit Überma-
lung operiere, indem ich fast täglich das Programm für das
einzelne Bild ändere ...» Das Motiv des Bildes wird nicht
nur neu überarbeitet, es wird täglich oder sogar stündlich
vollständig geändert. Aber eben nach Plan, also kalkuliert.
Vom Stuhl zum Haus zum Krug zum Stuhl, immer über-
einander».)!8
Diese methodische, durch die Ratio kontrollierte
Gestaltungsdisziplin ist im vollendeten Werk nicht zuletzt
in Gesamtanlage und Maltechnik spürbar. Inbezug auf -45-
hiess das: von Anfang an bestand der Plan, eine monumen-
tale Bilderwand zu schaffen, die dem -Srasenbild- min-
destens ebenbürtig sein würde - nur eben in gänzlich neuer
Technik und damit untrennbar verbundener Problem-
stellung.
Franz Meyer hat die einzigartige Technik von «45» und
die Chronologie der einzelnen Bildtafeln eingehend
beschrieben, weshalb an dieser Stelle nur resümierend auf
diese Thematik eingegangen wird. Als Bildträger hat Base-
litz Holztafeln verwendet, die er zuerst bemalt, dann durch