Full text: Jahresbericht 1991 (1991)

dass auch diese Blätter zum überwiegenden Teil in Vernis- 
mou ausgeführt sind, einer graphischen Technik also, die 
der Künstler als Zeichner angehen konnte. Die frei gezo- 
gene Linie ist bei ihm nicht von vornherein mit Bedeutung 
belegt; sie ist eine Energieform, die beiläufig Figuren 
hervorbringt. Vorgegebene Strukturen, in die nach und 
nach Figürliches hineinprojiziert werden kann, setzten 
Thomkins Kreativität in Gang. Sie waren für ıhn Versatz- 
stücke, die etwas auslösten, was latent in der Erinnerung 
vorhanden war und was im Hineinsehen und im Interpre- 
tieren dieser Strukturen zum Vorschein kam. 
Es ist uns ein Anliegen, Werke aus der Graphischen 
Sammlung, die normalerweise in Schachteln und 
Schränken aufbewahrt werden, von Zeit zu Zeit einem grös- 
seren Publikum zugänglich zu machen. So stellten wir in 
dem Sammlungsheft «Von Leibl bis Pechstein», das zur 
gleichnamigen Ausstellung im Graphischen Kabinett 
erschien, zum grossen Teil unveröffentlichte Zeichnungen 
von elf deutschen Künstlern aus dem Zeitraum von 1880 bis 
1930 vor. Diesen Schwerpunkt der Graphischen Sammlung 
verdanken wir vor allem der gezielten Ankaufspolitik des 
ersten Kunsthaus-Direktors, Wilhelm Wartmann, der in 
den zwanziger und dreissiger Jahren den Grundstein für die 
Gruppe der deutschen Zeichnungen legte. Besonders 
umfangreiche Bestände kamen bei Corinth, Liebermann 
und Kirchner zustande. In Liebermanns Werk nehmen die 
Zeichnungen eine Schlüsselstellung ein. Er bereitete seine 
Bilder durch vielfältige Einzelstudien vor: angefangen von 
den frühen, mit Sachlichkeit und Genauigkeit gezeich- 
neten Blättern mit arbeitenden Menschen bis zu den 
späten Pleinair-Szenen der Gartenwirtschaften, in denen er 
als Impressionist das Licht in der Zeichnung einzufangen 
sucht. Corinths Zeichnungen, die mythologische und 
biblische Themen in sehr persönlicher Weise interpre- 
tieren, sind meist vorbereitende Studien zu seinen Bildern 
und graphischen Arbeiten; sie wirken jedoch in ihrer 
Unmittelbarkeit oft intensiver als die endgültigen Werke. 
Eine besondere Rarität stellt das «Odi profanum» dar, das 
in unserem Sammlungsheft zum ersten Mal vollständig 
publiziert wurde. Es handelt sich um den 1906 entstan- 
denen dritten Band des nur noch teilweise erhaltenen 
Stammbuches der «Brücke»-Künstler, mit Zeichnungen 
von Bleyvl. Pechstein und den etwas späteren «Viertelstun- 
denakten» von Kirchner, die sich von der akademischen 
Tradition absetzen und eine spontane und expressiv verein- 
fachende Formensprache entfalten. Die wissenschaftliche 
Bearbeitung der Zeichnungen verdanken wir Frau Annette 
Nolte-Jacobs, die diese Arbeit im Rahmen eines Volonta- 
riats an der Graphischen Sammlung des Kunsthauses 
durchführen konnte. Die Redaktion des Sammlungsheftes 
lag in den Händen von Bernhard von Waldkirch, dem 
wissenschaftlichen Mitarbeiter der Graphischen Samm- 
lung. UP 
BIBLIOTHEK 
1991 beobachteten wir in der Kunsthausbibliothek eine 
starke Zunahme von Videointeressierten; es wurden 342 
Tapes visioniert, gegenüber 194 ım Vorjahr. Besonderes 
[nteresse an unserer etwa 350 Bänder von internationalen 
Künstlern umfassenden Videothek, die eine der grössten ın 
Europa ist, zeichnete sich während der Ausstellung «Nam 
June Paik» im Kunsthaus Zürich ab. Vermehrt sahen sich 
auch Gruppen im Lesesaal und im kleinen Vortragssaal 
Videobänder an, so z. B. Klassen der F + F-Schule Zürich, 
der Schule für Gestaltung Luzern, der Waldorf-Schule 
Überlingen. In Zusammenhang mit den Bestrebungen zur 
Schaffung einer Klasse für Film und Video an der Schule 
für Gestaltung der Stadt Zürich wurden bereits mehrere 
Gruppen an das Medium Video herangeführt. 
Um allgemeine Beobachtungen zur Veränderung 
unserer Benutzerstruktur statistisch zu erhärten, führten 
wir 1991 eine Erhebung durch. Das Resultat zeigte auf, dass 
die Studenten der Universität Zürich einen Anteil von 40% 
unserer Leser bilden; die übrigen 60% setzen sich 
zusammen aus Mitgliedern der Zürcher Kunstgesellschaft, 
aus Schülern, Medienschaffenden und Studenten der ETH 
Zürich. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass in der Kunst- 
hausbibliothek in den letzten Jahren immer mehr direkte
	        
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