HINWEISE AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
AUGUSTO GIACOMETTI
«PHAETHON IM ZEICHEN DES SKORPIONS»
Allzu ländlich schlicht, vielleicht auch zu puritanisch
trocken war die Schweiz, um ein produktives Zentrum des
Jugendstiles zu werden. Vielleicht verhinderte die föderali-
stische Aufsplitterung die wünschenswerte Konzentration
der Kräfte — eben ereilt mich die Nachricht, dass neben
Aarau, Olten, Solothurn, Grenchen, Biel auch Langenthal
dringend einer Kunsthalle bedarf —, jedenfalls fehlte es an
der nötigen Fallhöhe von der Zivilisation zur Natur, um
deren Vereinigung zum Programm zu machen: die Kultur
hob sich nicht hinreichend elitär, zu wenig anspruchsvoll
verfeinert ab, die Natur blieb in der Nahsicht zu zivilisiert
infiltriert und ohne die ursprünglich unschuldige Kraft
«jenseits von Gut und Böse». Überdies hatte das Land mit
seinem Heimatstil bereits den für seine Bedürfnisse ausrei-
chenden Jugendstil, und wo jener nicht genügte, stülpte
ihm dieser sein Reformgewand über. Doch was man selbst
wenig ausprägte, zog der magische Raum des über Europas
Niederungen schwebenden Hochgebirges an sich: Tuber-
kulose und Lebensreform, Zauberberg und Monte Veritä
lauten die hier kulminierenden Pole, um die Weltschmerz
und Lebenslust kreisten.
So dürfte es doch mehr als Zufall gewesen sein, dass zu
keinem europäischen Stil schweizerische Künstler so viel
beigetragen haben wie zum Jugendstil. Noch mehr als an
Eugene Grasset und Hermann Obrist, die in Paris und
München massgeblich an der Ausbildung der Ornamentik
mitwirkten, denken wir dabei an die Maler, die im deka-
denten Symbolismus des Fin de si&cle mit alpenländisch
unverfeinerter Lebenskraft an der Wiege der Art Nouveau
standen: Böcklin zunächst, der Ahnherr der naturburschi-
kosen Faune und Kentauren, die sich in «Pan» und «Jugend»
massenweise tummeln sollten; Segantini sodann und vor
allem Hodler, die nicht nur das Bild des alpinen Sehn-
suchtsraum bestimmten, sondern die Malerei der Zeit über-
haupt zentral prägten; schliesslich Vallotton, der in seinen
Holzschnitten eine unterschwellig ätzende Kritik an der
philiströsen Bourgeoisie mit äusserster stilistischer Perfek-
tion und Ökonomie vortrug und damit einen wesentlichen
Aspekt der Bewegung ausformulierte.
Die schöpferischen Impulse der Art Nouveau aber
formte in besonders eigener und fruchtbarer Weise der eine
Generation Jüngere Augusto Giacometti um!. Wie sein
entfernter Vetter Giovanni aus Stampa stammend, fand er
im Gegenzug zu dem liniensüchtigen florealen Jugendstil
in der Farbe sein eigentliches Mittel zur sinnenhaften
Verzauberung der Welt. Schon während seiner Ausbildung
an der Kunstgewerbeschule in Zürich entdeckte er die
Ornamentvorlagen Eugene Grassets, der — 1841 in
Lausanne geboren — seit 1871 in Parıs wirkte und als
Künstler, Theoretiker und Pädagoge zu den massgeblichen
Wegbereitern des neuen Stil gehörte. 1897 schloss sich
Giacometti seiner Schule an und lernte dort früh die Auto-
nomie der künstlerischen Mittel und ihre Ausdruckskraft
kennen. Zum zweiten Band von «La plante et ses applica-
tions ornamentales» durfte der Schüler bereits das Titel-
blatt und mehrere Tafeln beisteuern; dank einem Leihgeber
vertritt die Musik, der grosse Detailentwurf für ein Decken-
gemälde, diese grundlegende Stufe der Entwicklung Giaco-
mettis im Kunsthaus. Wie bei Bonnard trug das Erlebnis
der japanischen Holzschnitte zur Ausbildung eines konse-
quent flächig dekorativen, antinaturalistischen Stils
wesentlich bei. Bereits vor der Jahrhundertwende setzen
aber auch die systematischen Farbstudien in Pastell ein,
Abstraktionen nach Schmetterlingsflügeln und mittelalter-
lichen Glasgemälden in wellenförmig begrenzten Quadrat-
mustern.
1902 übersiedelte Augusto Giacometti, fasziniert von
Fra Angelico und der Frührenaissance, nach Florenz, und
hier entstanden die grossen, sorgfältig erarbeiteten symbo-
listischen Gemälde, in denen er zum eigenständigen
Künstler reifte und die seinen Ruf begründeten. Bereits
1903 gelangte die erste dieser Kompositionen, Die Nacht,
mit der er sich am eidgenössischen Stipendienwettbewerb
beteiligt hatte, als Leihgabe des Bundes in die Zürcher