Full text: Jahresbericht 1992 (1992)

GRAPHISCHE SAMMLUNG 
ANKÄUFE UND GESCHENKE 
Die in der letzten Zeit gesunkenen Preise auf dem Kunst- 
markt kamen auch unseren diesjährigen Ankäufen zugute. 
So konnte unsere Sammlung amerikanischer Kunst der 
siebziger und achtziger Jahre, insbesondere der Minimal 
und Concept Art, durch den Ankauf des 1991 entstan- 
denen Portfolios mit 4 Holzschnitten von Donald Judd 
erweitert werden. Der Künstler knüpft damit an die eben- 
falls in unseren Beständen vertretenen frühen Holzschnitte 
der sechziger Jahre an, deren geometrische Formensprache 
er konsequent weiterführt. «Ich glaube, dass einer der 
Gründe, weshalb meine Sachen geometrisch sind», meinte 
er einmal, «der ist, dass ich will..., dass sie nicht-naturali- 
stisch, nicht-bildlich und nicht-expressionistisch sind.» 
Von Bruce Nauman ergänzten wir unsere kontinuierlich 
angewachsene Sammlung mit einem graphischen Blatt 
«Small Carousel» 1988, das mit der letztes Jahr gekauften 
Serie von Tierkarussells in Zusammenhang steht und in 
dem ebenfalls «enthäutete» und verstümmelte Tiere, im 
Raum hängend, in ihrem Ausgeliefertsein Betroffenheit 
auslösen. Eine frühe Zeichnung desselben Künstlers 
«4 films — 4 rotating prisms in a room» 1970 (Abb. 13) 
gehört in den Umkreis seiner Projekte für Korridore und 
zimmerartige Räume, die als Stätten physischer und psy- 
chischer Erfahrung gedacht sind (vgl. beispielsweise unsere 
1988 gekaufte Zeichnung für einen akustischen Korridor). 
In dem vorliegenden Projekt sind in einem Raum längs der 
vier Wände auf halber Höhe rotierende prismatische 
Körper angeordnet, deren Durchdringungen an den Eck- 
punkten entsprechend der gegenläufigen Bewegung der 
Prismen immer wieder neue Konstellationen schaffen. Sie 
erinnern an die sich nach verschiedenen Seiten öffnenden, 
dreieckigen Querschnitte mancher Skulpturen der sieb- 
ziger Jahre. Da die Bewegungen von 4 Kameras gefilmt 
werden, könnte man sich vorstellen, dass Nauman sie für 
den Besucher nur ausserhalb des Raumes — z.B. auf Moni- 
toren — sichtbar werden lassen wollte. 
In Ergänzung zu den bisherigen graphischen Blättern, 
vor allem zu dem vor zwei Jahren gekauften Mappenwerk 
«5 + 1» von Helmut Federle, erwarben wir dessen neue 
Lithographie von 1991, die der Kunstverein Münster als 
Jahresgabe herausgegeben hat. Damit besitzen wir das bis 
jetzt noch schmale graphische Werk dieses Künstlers fast 
vollständig. Auch von anderen Schweizer Künstlern, die 
bereits in der Graphischen Sammlung vertreten sind, 
konnten wir neuere Werke dazukaufen, so von Stephane 
Brunner, Pierre Haubensak, Ilona Ruegg und Albrecht 
Schnider. 
Die Bestände an zeitgenössischen deutschen Zeich- 
nungen wurden mit einer eindrücklichen Tuschzeichnung 
von Gerhard Richter ergänzt (Abb.12). Von diesem 
Künstler hatten wir bereits 1979 eine umfangreiche Gruppe 
druckgraphischer Arbeiten erworben, in denen Richter — 
entgegen dem bisherigen Verständnis von Originalgraphik 
— mit photomechanischen Verfahren, wie Heliogravüre, 
Iffset oder Lichtdruck, arbeitete. Damit fand er ein adä- 
quates Mittel für sein auch in der Malerei verfolgtes 
Bestreben, das «Handschriftliche» und die subjektive Geste 
auszuschalten und das «Objektive» und «Anonyme» zur 
Darstellung zu bringen. Allerdings bewirkten sehr freie 
künstlerische Manipulationen die Verwandlungen der Vor- 
lage, beispielsweise führte die Montage verschiedener 
Photos oder ihre Umkehrung zu vom Betrachter bewusst 
erlebten «Störungen». In der neuerworbenen Zeichnung 
«Kugel» von 1991 führt Richter in die anonyme Mal- 
struktur, wie sie viele seiner Bilder der letzten Jahre 
bestimmt, ein plastisches, gegenständliches Element ein. 
Eine solche aus einem Projekt mit Polke stammende Kugel 
lag lange auf seinem Schreibtisch, heisst es, bevor er sie als 
Multiple ausführen liess, erst in kleinerer Form und neuer- 
dings als grosse Kugel, wie man sie bei seiner diesjährigen 
Ausstellung im Nietzsche-Haus in Sils-Maria sehen 
konnte. Niedergelegt im Schlafzimmer des Philosophen, 
wurde sie dort in Anlehnung an Nietzsches Vorstellungen 
des Zyklus’ «des fortwährend sich drehenden Kreises,
	        
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