HINWEISE AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
JAN DAVIDSZ DE HEEMS STILLEBEN MIT HUMMER —
EIN INBEGRIFF SEINER GATTUNG
Eine ruhige Faszination geht von Stilleben aus; nicht
fordernd oder irritierend springen sie den Betrachter an:
in sich ruhend hängen sie an der Wand und warten auf eine
friedliche Stunde, in der ein verweilender Blick sich
anschickt, ihren geheimen Gesetzen nachzuspüren. Waren
sie der älteren Kunsttheorie wegen ihres meist unbedeu-
tenden Inhaltes gleichgültig, so standen sie bei den
Kennern doch stets in hoher Schätzung, da gerade
dadurch das Wie über das Was zur Geltung kommen
konnte. Ja, in der neueren Kritik gilt die Gattung als beson-
ders «philosophisch», denn hier stellt sich das Wahr-
nehmungsproblem, die Auseinandersetzung der sinnli-
chen Erfahrung, des Sehens, mit der äusseren Welt der
Dinge und ihre Umsetzung in Form unausweichlich. Aber
ebenso eröffnet und verlangt die Anspruchslosigkeit des
Gegenstandes eine Freiheit und Dichte der formalen
Gestaltung, die Gemälde mit menschlichen Figuren nicht
ermöglichen.
Das Stilleben von Jan Davidsz de Heem, das Herr
und Frau Koetser anlässlich seines letzten Geburtstages
ihrer Stiftung schenkten, erreicht nun sowohl in der Erfas-
sung der Gegenstände als auch in der künstlerischen
Gestaltung das Äusserste, so dass es füglich als Inbegriff
seiner Gattung gelten darf. Der Hauptmeister der nieder-
ländischen Stillebenmalerei hat es im dritten Viertel des
17. Jahrhunderts, als das «Gouden Eeuw», das goldene Zeit-
alter Hollands in seiner höchsten Fülle stand, auf eine
Kupfertafel gemalt, ein teurer Bildträger, der Farben und
Pinselwerk in unvergleichlicher Frische erhält. Auch die
dargestellten Dinge erscheinen kostbar; de Heem wählte
sie aus dem Repertoire der von ihm vorzüglich gepflegten
Spezialität des Prunkstillebens. Doch im Gegensatz zu den
grossformatigen überreichen Aufhäufungen von Früchten
und Edelmetallen, Draperien und womöglich Papageien,
Säulen, Landschaftsausblicken u. dgl. mehr liegt hier der
Prunk nicht in der Quantität, sondern in der malerischen
Qualität der leuchtenden Farben und schimmernden
Materialien: «Niet hoe veel. . .» «Nicht wie viel, (sondern
wie edel)» — liest man in schwungvollem Diamantriss auf
einem Glaspokal, der auf einem von de Heems Werken die
Bühne eines weitgehend abgeräumten Prunkstillebens
beherrscht. Hier nun hat er sich selbst an diese Maxime
gehalten, die 1678 Hoogstraten in seinem Traktat den Still-
lebenmalern allgemein empfiehlt.
Das sparsame Prunkstilleben, das dem sog. «mono-
chromen banketje» eines Pieter Claesz oder de Heems
selbst noch nahe steht, entspricht in seiner zuchtvollen
Fülle der epikuräischen Genussökonomie, die nicht in
haltlos verströmender Wollust, sondern in präzise einge-
schränkten Reizen das höchste Geniessen erkennt; vor
allem die humanistisch gebildeten, calvinistischen
Handelsherren in Amsterdam scheinen es entsprechend
geliebt zu haben und wurden damit von Willem Kalf aufs
vorzüglichste bedient. Nun hat solche Ökonomie nicht
nur mit Kapitalbildung zu tun, sondern entspricht dem
Stilleben in besonderer Weise, da diese Gattung am unmit-
telbarsten durch die ästhetische Grundoperation des
Isolierens konstituiert wird: die Gegenstände werden aus
ihrem Lebenszusammenhang gelöst und einem ästheti-
schen Gesetz unterstellt, das sich wenigstens ebenso
entschieden selbst zur Geltung bringt wie die Objekte.
Aber ebenso wie die Vereinzelung der Dinge die Aufmerk-
samkeit auf diese fixiert und damit ihr «Wesen» der
Anschauung eindrücklich macht, ebenso steigert sich die
ästhetische Wirkung von Ordnungsprinzipien, je mehr sie
sich modellhafter Prägnanz annähern. Beides entspricht
offensichtlich sparsamen und strengen Kompositionen
besser als reichhaltigen und vielseitigen; wie bei der
abstrakten Kunst eines Mondrian oder Newman könnte
man sogar behaupten, dass die höchste künstlerische Stufe
von Stilleben dort erreicht wird, wo die grösste Einfachheit
ohne Absturz ins Banale glückt. Jedenfalls spricht dies das
heutige, unter Reizüberflutung leidende ästhetische
Gefühl besonders an.