Full text: Jahresbericht 1992 (1992)

HINWEISE AUF 
EINIGE NEUERWERBUNGEN 
JAN DAVIDSZ DE HEEMS STILLEBEN MIT HUMMER — 
EIN INBEGRIFF SEINER GATTUNG 
Eine ruhige Faszination geht von Stilleben aus; nicht 
fordernd oder irritierend springen sie den Betrachter an: 
in sich ruhend hängen sie an der Wand und warten auf eine 
friedliche Stunde, in der ein verweilender Blick sich 
anschickt, ihren geheimen Gesetzen nachzuspüren. Waren 
sie der älteren Kunsttheorie wegen ihres meist unbedeu- 
tenden Inhaltes gleichgültig, so standen sie bei den 
Kennern doch stets in hoher Schätzung, da gerade 
dadurch das Wie über das Was zur Geltung kommen 
konnte. Ja, in der neueren Kritik gilt die Gattung als beson- 
ders «philosophisch», denn hier stellt sich das Wahr- 
nehmungsproblem, die Auseinandersetzung der sinnli- 
chen Erfahrung, des Sehens, mit der äusseren Welt der 
Dinge und ihre Umsetzung in Form unausweichlich. Aber 
ebenso eröffnet und verlangt die Anspruchslosigkeit des 
Gegenstandes eine Freiheit und Dichte der formalen 
Gestaltung, die Gemälde mit menschlichen Figuren nicht 
ermöglichen. 
Das Stilleben von Jan Davidsz de Heem, das Herr 
und Frau Koetser anlässlich seines letzten Geburtstages 
ihrer Stiftung schenkten, erreicht nun sowohl in der Erfas- 
sung der Gegenstände als auch in der künstlerischen 
Gestaltung das Äusserste, so dass es füglich als Inbegriff 
seiner Gattung gelten darf. Der Hauptmeister der nieder- 
ländischen Stillebenmalerei hat es im dritten Viertel des 
17. Jahrhunderts, als das «Gouden Eeuw», das goldene Zeit- 
alter Hollands in seiner höchsten Fülle stand, auf eine 
Kupfertafel gemalt, ein teurer Bildträger, der Farben und 
Pinselwerk in unvergleichlicher Frische erhält. Auch die 
dargestellten Dinge erscheinen kostbar; de Heem wählte 
sie aus dem Repertoire der von ihm vorzüglich gepflegten 
Spezialität des Prunkstillebens. Doch im Gegensatz zu den 
grossformatigen überreichen Aufhäufungen von Früchten 
und Edelmetallen, Draperien und womöglich Papageien, 
Säulen, Landschaftsausblicken u. dgl. mehr liegt hier der 
Prunk nicht in der Quantität, sondern in der malerischen 
Qualität der leuchtenden Farben und schimmernden 
Materialien: «Niet hoe veel. . .» «Nicht wie viel, (sondern 
wie edel)» — liest man in schwungvollem Diamantriss auf 
einem Glaspokal, der auf einem von de Heems Werken die 
Bühne eines weitgehend abgeräumten Prunkstillebens 
beherrscht. Hier nun hat er sich selbst an diese Maxime 
gehalten, die 1678 Hoogstraten in seinem Traktat den Still- 
lebenmalern allgemein empfiehlt. 
Das sparsame Prunkstilleben, das dem sog. «mono- 
chromen banketje» eines Pieter Claesz oder de Heems 
selbst noch nahe steht, entspricht in seiner zuchtvollen 
Fülle der epikuräischen Genussökonomie, die nicht in 
haltlos verströmender Wollust, sondern in präzise einge- 
schränkten Reizen das höchste Geniessen erkennt; vor 
allem die humanistisch gebildeten, calvinistischen 
Handelsherren in Amsterdam scheinen es entsprechend 
geliebt zu haben und wurden damit von Willem Kalf aufs 
vorzüglichste bedient. Nun hat solche Ökonomie nicht 
nur mit Kapitalbildung zu tun, sondern entspricht dem 
Stilleben in besonderer Weise, da diese Gattung am unmit- 
telbarsten durch die ästhetische Grundoperation des 
Isolierens konstituiert wird: die Gegenstände werden aus 
ihrem Lebenszusammenhang gelöst und einem ästheti- 
schen Gesetz unterstellt, das sich wenigstens ebenso 
entschieden selbst zur Geltung bringt wie die Objekte. 
Aber ebenso wie die Vereinzelung der Dinge die Aufmerk- 
samkeit auf diese fixiert und damit ihr «Wesen» der 
Anschauung eindrücklich macht, ebenso steigert sich die 
ästhetische Wirkung von Ordnungsprinzipien, je mehr sie 
sich modellhafter Prägnanz annähern. Beides entspricht 
offensichtlich sparsamen und strengen Kompositionen 
besser als reichhaltigen und vielseitigen; wie bei der 
abstrakten Kunst eines Mondrian oder Newman könnte 
man sogar behaupten, dass die höchste künstlerische Stufe 
von Stilleben dort erreicht wird, wo die grösste Einfachheit 
ohne Absturz ins Banale glückt. Jedenfalls spricht dies das 
heutige, unter Reizüberflutung leidende ästhetische 
Gefühl besonders an.
	        
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