Dass de Heem ein Nonplusultra in der Vergegenwärti-
zung der Gegenstände erreicht hat, ist evident: es geht
möglicherweise noch anders — aber in dieser Weise nicht
noch intensiver. Das primäre, naive Vergnügen der
täuschenden Nachahmung der Wirklichkeit wird voll-
ständig befriedigt. Und indem nicht nur die Dinge, ihre
Anordnung, das Licht und die Atmosphäre fixiert werden,
sondern die flache Tafel dem Blick des Betrachters immer
den gleichen Gesichtspunkt zeigt, erhalten die «ver-
ewigten» Dinge eine fast beunruhigende Überdeutlichkeit,
die zur Analyse der malerischen Grundlage des Effektes
herausfordert. Versenkt man sich nun in die Einzelheiten,
so erstaunt die Engführung der Pinselarbeit mit den
evozierten optischen Phänomenen; es braucht schon eine
ganz aussergewöhnliche «exakte sinnliche Phantasie», um
eine solche Fülle von Differenzierungen der Reflexe und
Brechungen in den Gläsern zu erfassen oder zugleich die
Oberfläche der Trauben und ihr durchleuchtetes Frucht-
fleisch mit dem opaken Kern wiederzugeben und die
Beeren erst noch nach Massgabe ihrer Entfernung und
Beleuchtung hervor- oder zurücktreten zu lassen. Zur
Energie der Wirkung gehört die Eigenwertigkeit der
Malerei als solcher, die vor allem dort einsichtig wird, wo
der Gegenstand grössere Freiheit zulässt wie im Taft der
Tischdecke, im Hintergrund oder bei den Blättern.
Eine gestalterzeugende Vorstellungskraft herrscht vom
kleinsten Detail bis zur Gesamtkomposition. Die gelben
Formen am rechten Rand des Römers, in denen sich das
durch den Wein gefärbte Licht mit Spiegelungen der
Zitrone trifft, entziehen sich durch die Komplexität der
Reflexe der inhaltlichen Analyse und gewinnen doch rein
durch ihre abstrakten Qualitäten faszinierende Notwendig-
keit. Die ornamentale Spannung der Ranken vermittelt die
Energie, die den Ast über die Trauben hochstemmt und das
untere Blatt wie im Dialog dem oberen zuwendet; in den
sich antwortenden Krümmungen der Fühler des Hummers
scheint das im Kochen grausam verendete Tier wieder
lebendig zu werden. Und selbst die sich nach links in stei-
gerndem Rhythmus stauenden Falten scheint ein merk-
würdiger ästhetischer Animismus zu beseelen, der an
Spinozas Pantheismus denken lässt: «Unter Leben
verstehen wir die Kraft, durch die ein Ding in seinem Sein
verharrt. Da diese Kraft von den Dingen selbst verschieden
ist, so sagt man passend, dass die Dinge selbst Leben haben.
Da aber die Kraft, durch die Gott in seinem Sein verharrt,
nichts anderes ist, als sein Wesen, so drückt man sich am
besten aus, wenn man Gott Leben nennt.» Und wie hier
Immanenz und Transzendenz, Kontingenz und Selbster-
haltung des Irdischen wie in einem archimedischen Punkt
in die Schwebe gebracht sind, scheint auch de Heems Bild
von der Ausspannung der Gegensätze und ihrer versöh-
nenden Vereinigung durchwaltet zu sein.
Betrachtet man nun die einzelnen Gestaltungsmittel als
Systeme, enthüllt sich der angesprochene modellhafte
Charakter des Werkes in wünschbarer Deutlichkeit. So
werden gleich vorn die drei Grundfarben Rot, Blau und
Gelb derart grossflächig und in so strahlender Reinheit
»xponiert, wie man es in älteren Bildern kaum je findet.
Und ihnen unmittelbar zugeordnet, erscheinen ihre
Komplementärfarben: grüne Trauben über dem roten
Hummer, violette hinter der Zitrone und orange Gold-
fransen am blauen Tischtuch. Die Ordnung wirkt so syste-
matisch, dass man sich fragen kann, ob nicht ein bewusster
Bezug zu der neuen, 1613 von Anguilonius in seiner
«Optica» publizierten Farbtheorie vorliegt, und dies um so
»her, als er das Orange «Aureus» (goldfarbig) nennt und
auch die zu seinem Schema gehörenden Extremwerte des
Weissen und Schwarzen im Messergriff aus Perlmutter und
Ebenholz ins Bild gebracht werden. Die Fülle der verbin-
denden Zwischentöne, der ins Helle und ins Dunkle abge-
stuften Entsprechungen auf der Netzhaut schmelzen zu
iassen, kann dem geniessenden Betrachter des Originals
ebenso überlassen bleiben wie die Beobachtung der
vermittelnden Reflexlichter oder die Verschiebung von
grünlichen zu rötlich-violetten Tönen im Blau des Taftes.
Überdie hinteren Gegenstände und ihre zunehmend abge-
dämpften Sekundärfarben vermischt sich das Spektrum bis
zu den unbunten Tönen der Wand, die zwischen Olivgrün
and Ockerbraun spielen und so ebenso wie das höchste
Weiss der Reflexe und das tiefe Schwarz in der dunkelsten
Partie.des Grundes unten links alle Farben in sich vereint
und ausgleicht.
Damit vollendet sich eine historische Entwicklung, die
zwei Generationen früher mit der Ausbildung des Still-
lebens als selbständiger Gattung einsetzte. In der Samm-
lung Koetser vertritt das reizende Bild von Isaak Soreau die