den; nicht weniger gern hörten wohl seine Gastgeber das
anschliessende Lob Holbeins und Dürers, dessen Bildnis
des 82jährigen Wolgemut ihn in Nürnberg ausserordent-
lich beeindruckt hatte und ihm beim Malen Bodmers eben
zur rechten Zeit in Erinnerung gerufen wurde. «Überhaupt
die drey werden für die natürlichsten Mahler gehalten»:
keine Manier, nur Natur.
Dass Tischbein hier seine Briefe abgedruckt fand und
vom führenden deutschen Kritiker loben hörte, obwohl er
nicht einmal orthographisch korrekt schreiben gelernt
hatte, bestärkte ihn sicher in seinem Interesse an der
Verbindung von Dichtung und Malerei: und dafür war er in
Zürich ohne Zweifel am rechten Ort, denn hier stand dieser
Problemkreis seit Bodmers und Breitingers Discourse der
Mahlern (1721) im Mittelpunkt ästhetischer Überlegungen.
Vor allem konnte er hier die berühmteste Doppelbegabung
jener Zeit, Salomon Gessner, kennenlernen, dessen Dich-
tungen er in seinen eigenen Idyllen bis ins Alter verpflichtet
blieb.!® Eben liess sich dieser von Anton Graff, der für den
Sommer 1781 aus Dresden zu ihm gekommen war, portrai-
tieren — das Bildnis hängt im Kunsthaus — und die beiden
Maler werden sich wohl kennengelernt haben. Bei diesem
älteren, schon weit berühmten Kollegen konnte Tischbein
gleichfalls die Abstimmung der malerischen Durchfüh-
rung auf den Charakter des Dargestellten lernen, auch
wenn er von dessen gleichzeitig entstandenen Portrait
Bodmers gar nicht angetan war.!
Jnd schliesslich kam noch Tischbeins Bruder Jakob
angereist: Einer den anderen gemalt nannte Wilhelm das
Doppelbildnis, in dessen Hintergrund die Portraits
Bodmers, Lavaters und Gessners hängen.” Die Kompo-
sition aber deutet auf Füsslis grosses Bild des Künstlers
im Gespräch mit Bodmer vor der Büste Homers, das
im gleichen Sommer aus London eingetroffen war;l6
neben der souveränen Vernachlässigung des malerisch
Handwerklichen muss Tischbein die Kühnheit der
Konzeption überrascht haben, die in die konventionelle
Aufgabe eine ungewohnte geistige Weite brachte und sicher
bis zu seinem berühmten Bildnis Goethes als Wanderer
auf dem Obelisken nachwirkte. Salomon Escher im
Wollenhof, bei dem er das Gemälde Füsslis besichtigt
hatte, wünschte anscheinend von ihm ein Portrait
Voltaires; jedenfalls schenkten seine Nachkommen später
beide Bilder ebenso wie Wüests Rhonegletscher der Künst-
lergesellschaft. Vermutlich gehörte er mit Usteri und
Lavater zu dem Freundeskreis, der bei Füssli den Schwur
der drei Eidgenossen!? bestellt und ins Rathaus gestiftet hatte —
wie die beiden Bildnisse ein Bekenntnis zur moralisch-
republikanischen Erneuerung gemäss den Forderungen
der Aufklärung und insbesondere Bodmers; ganz in
seinem Geiste war die noch ungewöhnliche Wahl eines
Themas aus dem Mittelalter und der vaterländischen
Geschichte.!8
Unter Bodmers Einfluss vertiefte sich Tischbeins Inter-
esse an Homer; er schenkte ihm «ein Werk, welches er über
die Vergleiche und Bilder des Homer geschrieben hatte»!
und das ihm Anlass für seine eigenen Forschungen über die
Darstellungen aus Ikas und Odysee in der antiken Kunst
wurde; überdies dominieren in seinen späten Historienbil-
dern Themen aus Homer. Zunächst aber beeindruckte ihn
Bodmers Propagierung der mittelalterlichen deutschen
Geschichte und Literatur nicht weniger. Da zeichnet er, wie
sin alter Schweizer bei der Verteidigung einer Brücke von
einem Feind, der in den Bach gestiegen, von unten ersto-
chen wird, ein neuer Horatius Cocles2® — fast fühlt man
sich an die groben Schlägereien erinnert, die der junge
Füssli so leidenschaftlich skizzierte. Tischbein mag sie
wohl gekannt haben, denn ein schönes Blatt, das ihn am
Krankenlager des alten Vater Johann Caspar Füssli zeigt,2!
deutet auf einen vertrauten Umgang mit der «Domus Füss-
liana». Sodann wendet er sich Szenen aus Goethes Götz von
Berlichingen zu, um sich den bewunderten Dichter geneigt
zu machen und eine Pension von Weimar zu erhalten.2?
Lavater und Merck in Darmstadt vermitteln, aber der
Herzog ist knapp bei Kasse; immerhin bestellt er als kleines
Gemälde Götz mit dem gefangenen Weislingen für Goethe zum
Geburtstag. Neben dem Bemühen, die Psychologie der
Figuren zu erfassen — auch hier die charakteristisch über-
grossen Augen —, sucht Tischbein in Gewand und Interieur
den Stil jener Zeit wiederzugeben; im Zürcher Zeughaus
macht er Studien von Hellebarden und Morgensternen,
und an der Wand soll gar Wilhelm Tells Armbrust und
Schwert hängen. Im Detail gäbe es noch viel zu bean-
standen, aber der wichtige erste Schritt in eine historisch
antiquarische Exaktheit, in der das 19. Jahrhundert
;ichwelgen sollte, war getan.