AUSSTELLUNG IM GRAPHISCHEN KABINETT
Miriam Cahn: Unbenennbar (was mich anschaut)
Nachdem das Kunsthaus Miriam Cahns 34teilige Raum-
arbeit «1 weiblicher Monat», die von der Vereinigung Zür-
cher Kunstfreunde erworben worden war, 1991 in seinen
Sammlungsräumen gezeigt hatte, konzentrierte sich die
neue Ausstellung auf Werke der letzten zwei Jahre, in denen
sich ein merklicher Wandel vollzogen hatte. Auslöser war
der Golfkrieg, mit dem Miriam Cahns aktuelle Auseinan-
dersetzung mit dem Krieg einsetzte. Zerstörung, Krieg und
Bedrohung des Menschen waren schon in früheren Werken
zu einem bedrängenden Thema geworden. Zu den männli-
chen Zeichen, die sie deutlich von den weiblichen unter-
schied, gehörten unter anderem Kriegsschiffe, Raketensilos
und Panzerwagen. Später — ausgelöst durch die weltweite
atomare Präsenz im militärischen wie im zivilen Bereich —
erblühten die Atombombenbilder in ihrer schauerlichen
Schönheit. Während der gesamten Periode des Golfkrieges,
das heisst vom 15.1. bis 28.2.1991, schuf Miriam Cahn dann
die vielteilige Arbeit «Kriegsraum», zu der sie schrieb:
«...trotzig beschloss ich, dass die arbeit kunst besser sei als
die arbeit krieg...» Die neuesten Werke haben viel mit
Sarajevo zu tun. Flüchtende, Liegende, Tote, Soldaten,
Frauen und Männer erscheinen in einer ganz neuen, hef-
tigen Farbigkeit, wobei die Farben oft symbolisch gemeint
sind: Blau steht für die Frau, Rot für den Mann und Gelb
für Gift. Bei dem Versuch, das Stürzen, den ohnmächtigen
Schmerz oder das Weinen darzustellen, kommen unwill-
kürlich existentielle Vorbilder aus der Erinnerung herauf,
wie Lehmbrucks «Gestürzter» von 1915/16, Mahnmal für
die Opfer des 1. Weltkrieges, sowie Picassos «Weinende
Frau» von 1937 oder die Schreiende aus seinem Guernica-
Bild desselben Jahres, mit dem er sich ebenfalls direkt auf
die Greuel seiner Gegenwart bezog. In den besten Zeich-
nungen lässt Miriam Cahn die Körper ganz transparent
werden, die Wirbelsäule bekommt etwas Skeletthaftes, und
die Figuren scheinen sich in der Weisse des Blattes fast auf-
zulösen. Bestandteil der Ausstellung war wie immer bei
Miriam Cahn, dass sie von der Künstlerin selbst zusam-
mengestellt und installiert wurde. Auch der Ausstellungska-
talog erschien als ein von ihr gestaltetes Artist-Book. UP
AUSSTELLUNGEN IM ERDGESCHOSS
Harald Naegeli
Ursprünglich als zweimalige Spray-Aktion geplant, wuchs
der Zürcher Auftritt von Harald Naegeli, des berühmt-
berüchtigten «Sprayers» der 70er Jahre, zu einer kleinen
Ausstellung und einer eigentlichen Manifestation aus, die
noch immer stark polarisierte. Es war allerdings unver-
kennbar, dass Naegelis Weg ins Atelier und Museum
seinem ursprünglichen Anliegen die Glaubwürdigkeit
nahm, nur in seinen «Partikelzeichnungen» trat eine neue
künstlerische Sprache zutage. Seine musikalisch begleitete
Spray-Performance machte hingegen deutlich, dass ein im
Museum mit Bildzeichen versehenes Glaskreuz ein anwe-
sendes Publikum weniger berührte als die geheimen nächt-
lichen Streiche, mit denen er einst eine ganze Stadt in
Atem gehalten hatte. GM
Ess, Schön, Wick
Eine Ausstellung der sanften und nachdenklichen Art: die
New Yorkerin Barbara Ess mit halluzinativ-paranoiden far
bigen Wirklichkeitsschüben, die Zürcherin Cecile Wick
ganz konträr mit stillen, innerlichen Traumbildern, die Ber-
linerin Eva-Maria Schön mit geheimnisvollen, röntgen-
ähnlichen Photogrammen und einer ganzen Wand voller
organisch-vegetabiler Fingerübungen. Ein Dreiklang, der
viel mit einem experimentellen Umgang mit Photogra-
phie, genauer mit Licht, zu tun hatte, aber vor allem auch
mit Wahrnehmungsphänomenen. Das die Materie, ja den
menschlichen Körper durchdringende Licht ist ein offen-
sichtlich ergiebiges und hochsensibles Element, um spezi-
fisch weibliche, neuartige Wirklichkeitserfahrungen in Bil-
dern fassen zu können. Ein Katalog-Essay von Katharina
Sykora fand dafür stimmige Erklärungen. GM