JOHANN HEINRICH FÜSSLI
OBERON UND TITANIA
Zauberhaft sinkt Oberon, Traumprinz und Elfenfürst, in
waldesdunkler Mondnacht zu seiner Königin nieder;
unruhig schläft Titania, träumt wohl von ihrem indischen
Lustknaben, von dem sie nicht lassen will, träumt gar von
ihrem königlichen Gemahl, wie er eben herbeischwebt und
ihr Blumensaft in die Augen träufelt?
«Was du wirst erwachend sehn,
Wähl’ es dir zum Liebchen schön,
Seinetwegen schmacht und stöhn.
Sei es Brumbär, Kater, Luchs,
Borst’ger Eber oder Fuchs,
Was sich zeigt an diesem Platz
Wenn du aufwachst, wird dein Schatz,
Sähst du gleich die ärgste Fratz!»
Puck, der koboldhafte Schatten und Diener seines Herrn,
reicht ihm den Liebeszauber, durch den er sich seines
Nebenbuhlers bemächtigen will und dessen Lösung ihm
seine Königin zurückbringen soll. So erfindet Shakespeare
ein poetisches Gleichnis für die Unerklärlichkeit und
Sprunghaftigkeit der Liebeswahl, die nicht nur den mond-
süchtigen Sommernachtsiraum seiner Komödie bestimmt.
Die auf dem Bilde ausgebreitete, vorzugsweise schla-
fende Schöne, zu der sehnsuchtsvoll ein männliches Wesen
kommt, gehört zu den Bildthemen, die in Venedig um 1500
beliebt werden und den Betrachter weniger durch eine
besondere Geschichte als durch die allgemein menschliche
Situation und ihre Stimmung anzusprechen suchen. In
unserer Sammlung ist diese Tradition durch die Gemälde
von Poussin und Pellegrini vertreten, beide von abendli-
chem Zwielicht erfüllt und mit dem ganz unspezifischen
Titel Venus und Satır versehen, der mit der Göttin der
Liebe und dem bocksbeinigen Naturwesen gerade keine
bestimmte Episode, sondern mythische Modellhaftigkeit
antönt. In der Terminologie ihrer Zeit handelt es sich ent-
sprechend um «Poesien» und nicht um «Historien»; heute
würde man davon sprechen, dass dies allgemeine «Rah-
menthema» über seine spezifische literarische Aktualisie-
rung dominiert. Füssli kommt ihm in dem Liegenden Akt in
Basel am nächsten; doch indem er den Mann durch eine
Klavierspielerin ersetzt, rückt die Szene ins narzisstisch
Selbstgeniessende: das quasi vegetativ Selbstverständliche
der älteren Vorstellung zerbricht unter seiner schärferen
psychischen Spannung oder Analyse, und damit erhält die
inhaltliche Zuspitzung und zugleich die Figuren gegenüber
dem atmosphärisch einbindenden und mitschwingenden
Umraum ein neues Gewicht. Das inhaltlich bestimmte
Rahmenthema verschiebt sich zu einer Kompositions-
struktur — eine Figur füllt halb sitzend, halb liegend eine
untere Bildecke, über ihr steigt eine senkrechte Gestalt
auf —, der eine bestimmte Beziehungsstruktur der Personen
entspricht: einem Träumenden oder Erwachenden er-
scheint ein höheres Wesen, oft als Inhalt eines Traumes. In
der Fairie Queen, die sich Prinz Arthur im Schlaf offenbart (Basel)
verwendet Füssli diese Bildform erstmals; für Oberon und
Titania kann er unmittelbar an dieses Bild anknüpfen. Dass
dabei die Geschlechter ohne weiteres austauschbar sind,
verdeutlicht den konzeptuell kombinatorischen Charakter
von Füsslis Verfahren, die Bildkompositionen als geometri-
sche Flächengefüge allein aus der Haltung und Gruppie-
rung der Figuren zu konstruieren. Weitere binäre Varianten
ergeben sich aus dem Bewusstseins-Zustand der Lie-
genden: ob schlafend oder wachend, die Erscheinung
wahrnehmend oder nicht, sodann aus dem Verhältnis der
Protagonisten in der Seins-Hierarchie: ob gleichartig oder
ob einem niederen ein Wesen aus höheren Regionen
erscheint, Damit sind zugleich zentrale Obsessionen und
Interessen von Füssli benannt: Geschlechter-Spannung,
Träume, Sphären des Phantastischen. Ebenso deutet die
Struktur der Beziehung, die nicht dialogisch oder agonal
gleichgewichtig ist, sondern eine Person im Zustand der
Lähmung einer extrem aktiv bewegten und einwirkenden
Gestalt völlig ausliefert, auf den expansiv-unausgegli-
chenen Charakter Füsslis. Kein Wunder, dass er sich oft
dieser Bildform bediente; das vorliegende Gemälde darf als
die glücklichste Ausprägung des Typus gelten.