Volltext: Jahresbericht 1993 (1993)

überging. Um diesen schweren Verlust für das künstlerische 
Erbe der Schweiz wenigstens ansatzweise zu kompensieren, 
sollte man auf Mittel und Wege bedacht sein, wie die mit 
den Stiftungen Ruzicka und Koetser so erfreulich begrün- 
dete Sammlung Alter Meister weitergeführt werden könnte. 
Es ist vielleicht nicht nur allgemein so, dass geschlossenen, 
quasi entwicklungslos eingefrorenen Beständen etwas 
Totes anhaftet, wie schon Goethe bemerkte; vielmehr gilt 
es durch präzise Ergänzungen dem sich stets wandelnden 
Kunstverständnis den Zugang zu dieser älteren Tradition 
offen und so ihre Werte lebendig und fruchtbar zu halten. 
Zu viele Kunstliebhaber schränken sich in ihrem Genuss 
auf ältere oder moderne Kunst ein; gerade im Kunsthaus, 
wo aktuelle Ausstellungen, alte und neue Werke hoher 
Qualität unter einem Dach vereinigt sind, sollte an dieser 
Vermittlung gearbeitet werden. Die neu erworbene Ansicht 
der Ruinen der Kreuzkirche in Dresden von Bellotto kann 
als Musterbeispiel dafür gelten, wie ungewöhnliche Werke 
den Wahrnehmungshorizont in beide Richtungen weiten 
können. 
Mit Johann Heinrich Füssli steht schon seit langem ein 
solch alt-moderner Künstler im Mittelpunkt der älteren 
Schweizer Bestände. Nachdem durch die Überführung des 
«Schwur der drei Eidgenossen» aus dem Rathaus und der 
Erwerbung zweier Hauptwerke seiner Zeitgenossen Ange- 
lika Kauffmann und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein 
der ihm gewidmete Saal in den letzten Jahren nochmals 
eine sehr merkliche qualitative Steigerung erlebte, konnte 
nun das Erreichte durch den Ankauf des schon länger als 
Leihgabe vorhandenen Gemäldes «Oberon träufelt Blu- 
mensaft auf die Augen der schlafenden Titania» konsoli- 
diert werden. Dank der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde 
bleibt so das zauberhafte Gegenstück zu unserem berühm- 
testen Gemälde Füsslis, « Titania umarmt den eselsköpfigen 
Zettel», mit diesem auf Dauer vereint. 
Auch der Giacometti-Stiftung glückte eine seit langem 
verfolgte Erwerbung. Es handelt sich um das einzige drei- 
dimensionale Selbstbildnis Albertos, vermutlich seine 
letzte, im traditionellen Sinne abbildungshafte Skulptur, 
bevor er sich 1925 ins Abenteuer der avantgardistisch-kubi- 
stisch abstrahierenden oder surrealistisch-objekthaften 
Plastik stürzte. Der meisterhafte Kopf zieht die Summe 
dessen, was er bei Bourdelle gelernt hatte: so kommt ihm 
sowohl im Werkganzen wie in unserer Sammlung eine 
Schlüsselstellung zu. Giacometti überliess die Arbeit dem 
Basler Maler Hans Stocker, mit dem er befreundet war und 
der später vor allem durch seine Glasmalerei, u.a. in Karl 
Mosers Antoniuskirche, berühmt wurde. Seine Kinder, 
Frau Myriam Plettener und Herr Jean-Pierre Stocker, 
schenkten der Giacometti-Stiftung ein eindrückliches 
Gemälde ihres Vaters, in dem er die Skulptur nicht nur fest- 
hielt, sondern in ihrer von Giacometti intendierten ägypti- 
sierenden Monumentalität und Strenge entschieden zur 
Geltung brachte. 
Unser langjähriger, hochverdienter Präsident der 
Sammlungskommission und Vizepräsident der Kunstge- 
sellschaft, Dr. Hanspeter Bruderer, schenkte dieser anläss- 
lich seines allgemein bedauerten Rücktrittes das Gemälde 
«Pattern of Conflict» von Mark Tobey, das zu den zentralen 
Inkunabeln aus der Zeit von dessen Stilfindung um 1944 
zählt. Im Kunsthaus tritt es neben «White Writing», das 
uns Herr Bruderer schon 1989 aus seiner erlesenen Samm- 
lung infomeller Kunst überreichte und das ebenso wie das 
andere Gemälde als besonders intensives Werk in allen 
bedeutenden Tobey-Retrospektiven im Blickpunkt der 
Kenner stand. 
Ein weiteres gewichtiges Geschenk durfte die Kunstge- 
sellschaft von Georg Baselitz entgegennehmen. Wie im 
Jahresbericht 1991 mitgeteilt, war der Künstler von unseren 
Bemühungen um «45» so beeindruckt, dass er mit der Gabe 
eines Werkes seine Anerkennung ausdrücken wollte. Als 
kurz darauf auch noch «Nachtessen in Dresden» erworben 
wurde, verdoppelte er seine Geste: zum einen durften wir 
das Gemälde «Volkstanz III» auslesen, zum anderen stellte 
er «die nächste brauchbare Skulptur» in Aussicht. Doch die 
neueren Bildwerke wollten nicht recht zu dem «Gruss aus 
Oslo» passen — im Gegensatz zu dem gleichzeitig mit 
diesem geschaffenen «Roten Pferd», das quasi als Statt- 
halter seit einiger Zeit in unserem Baselitz-Raum stand; 
schon in Derneburg hatten sich die beiden Plastiken öfter 
Gesellschaft geleistet. Auf Vorschlag des Direktors ent- 
schlossen sich nun Elke und Georg Baselitz, diese in 
seinem bisherigen Werk einzigartige Tierskulptur dem 
Kunsthaus zu schenken, 
Die Kunstgesellschaft beschränkte sich im Hinblick auf 
grössere Projekte in ihren Ankäufen auf die schweizerische
	        
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