bringt. So verlässt er Berlin und zieht 1966 aufs Land; hier
entstehen die Frakturbilder von Kühen, Hunden, Holzfäl-
'ern, doch nie als Abbildung von Natureindrücken. Zu erin-
nern ist auch an seinen Kontakt mit Anselm Kiefer, ın
dessen Nähe er in den frühen siebziger Jahren wohnt;
dessen Zürcher Bild Parsifal zeigt nichts anderes als den
Dachboden von Baselitz’ damaligem Atelier.
Das Akelter, die beiden zugehörigen Diptychen und das
achtzehnteilige Yrassenbild entstanden 1979/80 für den
deutschen Pavillon der Biennale, in dem vier Jahre zuvor
Joseph Beuys mit seiner Srassenbahnhaltestelle mit dem Loch
in den wässrigen Grund der Lagune einen Schacht in die
Tiefe seiner Kindheit gebohrt hatte. Ausgestellt wurden
dann aber nicht diese Gemälde, sondern die erste Skulptur
von Baselitz, ein zurücksinkender Mann, der —nur halb aus
dem rohen Holzblock gehauen — in seinen primären
Formen noch urtümlicher als jede Malerei wirken musste.
Seither entstehen abwechselnd solch archaisch idolhaft
anmutende Holzbildwerke und Gemälde und unter diesen
bald mehr von formalen Untersuchungen bestimmte, wie
die Orangenesser oder die Stilleben, bald von gewichtigeren
Themen belastete. So setzen sich mehrere Bilder mit der
Gestalt Edvard Munchs auseinander; die Reihe kulminiert
im Brückechor und seinem Zwillingsbild, unserem Nachtessen
in Dresden, in dem sich die kunsthistorische Ahnenevoka-
tion mit der christlichen Thematik berührt. Auch diesem
Bereich sind mehrere Gemälde gewidmet, formal Anre-
gungen Piero della Francescas aufgreifend und fasziniert
von der legendenhaften Vorstellung der «vera icon».
1985/86 wendet sich Baselitz der anderen grossen
abendländischen Tradition zu, der heidnischen Antike;
Arkadien, das den Intrigen und Korruptionen von Hofund
Stadt entgegengesetzte, idyllisch schlichte Land der
Schäfer und Dichter, sucht er in zwei seiner schönsten und
komplexesten Gemälden — Pastorale, die Nacht und Pastorale,
der Tag, beide im Kölner Museum —neu zu gestalten. In der
rechten Hälfte erblickt man jeweils eine grosse Frau, die
vom Scheitel am unteren bis zu den Unterschenkeln am
oberen Bildrand ragt; auf ihrem Geschlecht liegt, einmal
nach oben, einmal nach unten gerichtet, ein kleiner Baum.
[m Tagbild wächst aus ihrer Flanke ein Adlerkopf zu dem
übergrossen, isolierten männlichen Gesicht in der anderen
Hälfte; sein Schnabel reicht zwischen Ohr und Auge, der
passenden Stelle für die Inspiration eines Malers. Auf dem
linken Auge hingegen weidet, klein und blau entrückt, ein
Pferdchen, das auf dem Nachtbild rot und wesentlich
grösser an einem Teich mit Haus und Baum im Hinter-
grund grast. ‚Diese Landschaft erscheint auf einer
schwarzen Fläche, aus der wie aus einem Baumstamm oder
einer Bettdecke der kleinere Kopf des Mannes in der
Gegenrichtung, d.h. aufrecht, schaut: die Zeichen der
Erinnerung an seine Jugend liegen wie ein Traum auf ihm.
Mit diesen beiden Gemälden erreicht Baselitz in der
rätselhaften Fügung des Menschenpaares, seiner Tiere und
den Zeichen seiner Umwelt eine neue Bildform; es sind
nicht mehr einfach umgekehrte Einzelmotive oder Szenen,
sondern ein Zusammentreten von Einzelmotiven in unter-
schiedlichen Grössen und Richtungen zu einem hierogly-
phischen Gebilde, dessen Syntax von den offensichtlich
bedeutungsvollen Beziehungen unter den zeichenhaften
Wesen bestimmt wird. So ist es nicht nur die plötzliche
Fülle von Tieren, die Verwendung der Bedeutungsgrösse,
die traumwandlerisch grobe und sichere Pinselschrift, die
an die ähnlich raumlos symbolisch zusammengesetzte
Höhlen- und Katakombenmalerei denken lässt, sondern
eine tatsächliche Verwandschaft mit diesen archaisch
ursprünglicheren, bedeutungsmächtigen Wandbildern:
sollte hier Baselitz jene Neuinterpretation uralter Gat-
tungen versucht haben, die ihn in der Skulptur faszinierte
und glückte? Umgekehrt finden sich jedenfalls unter den
zahlreichen Studien, die das Bilderpaar vorbereiteten und
es weiter verarbeiteten, auch Entwürfe für eine Kopf-
skulptur, die halb im Block steckend und ein Pferdchen am
Mund zeigend, als ein Konzentrat der Gemälde erscheint.
Als plastisches Gebilde schwer vorstellbar, kam es nicht zur
Ausführung; doch wenig später nahm Baselitz den Grzss aus
Oslo in Angriff. Die ersten Skizzen erinnern nicht nur im
Allgemeinen an die mächtige, fusslose Frau aus den Pasto-
len; es finden sich auch die beiden Rundformen zuseiten
der Scham und der androgyne Charakter des Geschlechts
in den beiden Zuständen, die in den Bildern die Bäumchen
markieren.
Während der Arbeit am Gruss aus Oslo beginnt Baselitz
das Rote Pferd, Zunächst zeichnet er es wie im Nachtbild mit
gesenktem Kopfe weidend; wenige Striche oder Verunreini-
gungen auf dem Blatt evozieren eine Landschaft. Doch