zip der «Linien» durchdrungen und mit prickelnden Ener-
gien aufgeladen. Die Striche verlieren in dieser Fusion
ihren spezifischen Zeichencharakter an ein Allgemeine-
res, das man als Analogie oder Extremfall von «peinture»,
des Pinselwerkes der traditionellen Malerei betrachten
kann. Obwohl bei Cy Twombly hier wie zuvor Mache
ınd Materie prinzipiell über irgendwelche abbildungs-
haften Anmutungen dominieren, ergibt sich so eine
Annäherung an ältere Kunst und insbesondere an Monet,
der, von der anderen Seite kommend, am weitesten gegen
diesen Bereich vordrang. Nicht von ungefähr geschah das
in den grossen Seerosen-Panneaux; das Element des Was-
sers, in dem die bei Festkörpern getrennten Prinzipien ver-
schwimmen, wird auch bei Twombly dominieren und
ihm helfen, in dem Triptychon Hero und Leander die 1978
noch ungelösten Probleme zu gestalten®. Schweifen wir
kurz in die Sammlung des Kunsthauses ab, sehen wir hier
zwei durchgehende Hauptlinien konvergieren: das Feiern
malerischer «peinture» bei Manet, Monet oder Ryman
und die expressive Aktivierung der gemalten «Haut» bei
Hodler, Munch, Kokoschka, dessen Werk Twomblv übri-
zens früh rezipiert hat.
Bereits 1961/1962 scheint sich in Twomblys Werk eine
ähnliche Entwicklung anzubahnen, als die «Zeichen»
zunehmend pastos farbig - meist rot — wurden und sich
vom Skripturalen zu fleckigen Ergüssen wandelten. Bevor
die Tendenz abbrach und von ganz andersartigen, dun-
<elgrundigen Bildern mit streng linearer weisser Schrift
abgelöst wurde, kulminierte sie in einer Anzahl «Portraits»
mythischer Gewalttaten; zwar nicht das malerischste, aber
das grösste, brutalste und in verschiedener Hinsicht kon-
sequenteste dieser Werke ist Vengeance of Achilles. Auch
ler hat sich die aufgewühlte Farbmaterie von dem unbe-
nalten Grund in eine einzige grosse Form, das Dreieck
der Speerspitze, zusammengezogen, doch bleibt sie in das
gezeichnete grosse A und den skripturalen Gestus von
Titel, Signatur und sich sträubendem «Haar» eingebun-
den: beide Prinzipien sind in ihrer je eigenen, spezifisch
wirkungsmächtigen Autonomie vollständig ausgeprägt
ınd nur durch die Energie der inhaltlichen Kongruenz
zusammengezwungen. Systematisch zu sprechen, führt
der nächste Schritt einerseits zu den wieder streng skrip-
‚uralen, dunkelerundig farblosen Schrifttafeln der späten
sechziger Jahre, andererseits zu der mit Goethe in Italy zum
Durchbruch kommenden malerischen Auffassung. Inter-
essanterweise griff Iwombly mit der unmittelbar zuvor
entstandenen grossen Arbeit Fifly Days at Ilium” die Achil-
leis wieder auf, um das 1962 in eine dramatische Ikone
zugespitzte Thema episch in zehn Teilen auszubreiten.
1977 wurde Cy Twombly fünfzig: ein Alter, in dem
man sich nicht mehr mit den triebgeladenen Gewalttaten
eines Achill identifizieren mag. Ohne gleich den Mann von
fünfzig Jahren in Wilhelm Meisters Wanderjahren zu be-
mühen, scheint Goethe nun eine sinnvollere Referenz-
person: seine italienische Reise markiert zugleich dessen
Überwinden jugendlichen Sturms und Drangs und den
Übergang zum tieferen und breiteren Wirken der Reife.
Vor allem fand er in Rom den weiten Rhythmus der durch
die Jahrhunderte und Jahrtausende hallenden Mythen,
eine sinnlichere Kunst, ein freieres Leben, einen heiteren
Himmel: Goethe in Italien wurde selbst ein Mythos, das
vielen Nordländern den Weg wies. Auch wenn sich
Twombly schon durch die emphatische Einverleibung
des Namens in seine Handschrift in gewisser Weise mit
Goethe identifiziert, sollte man diesen Punkt vielleicht
ebensowenig strapazieren wie allfällige konkrete Ausdeu-
tungen des Gesehenen im Hinblick auf den Titel. Man
könnte etwa daran erinnern, dass neben der Antike auch
naturkundliche und insbesondere geologische Interessen
Goethe leiteten: überall, selbst in Sizilien, fand er das
«aquatische» und nicht das «vulkanische» Prinzip der
«Geognosis» bestätigt. Ein landschaftliches Wogen
durchzieht auch Twomblys Werkgruppe; in den beiden
grossen Bildern kann man die Widerstände gegen die
ltalienfahrt - die Alpen, wenn man so will - sehen und zu-
gleich die Klärung vom ersten, braun triefenden zu dem
:n reinerem Grün schwebenden zweiten bis hin zu der
ganz durchlichteten Haupttafel, in der sich helles Blau in
die Schrift mischt. Es ist nun ein heiteres, von den Waag-
‚echten bestimmtes Herabkommen, im Gegensatz zu
dem heroisch senkrecht Aufschiessenden des Achill. Die
absolute Setzung weicht den sich überlagernden Schrif-
ten, den Schichten der auf die Tiefe der Zeiten offenen
Arbeit am Mythos ähnlich, wobei die Steigerung der Züge
von der lockeren Eile des Dichternamens zu den zuneh-
mend steileren fast monumentalen Lettern des gelobten