skripturale Gesten - und folgerichtig in zeitlich zu lesen-
de Serien auseinandertreten, bleibt die Skulptur in den
«ewigen Augenblick» gebannt, die Metamorphose vollzo-
gen, die Verfolgungsjagd von Pan und Syrinx in der Flöte
vollendet. Das Dingliche der Plastik gestattet kaum eine
Wiedergabe des Bewusstseinsstroms, doch kondensiert
sich in ihr das Ereignis zu unausweichlicher, zeichenhaf-
ter Dichte, der Bewegungsimpuls, die Spannung der Geste
verharrt unaufgelöst.
Dass sich so zwischen Malerei und Plastik ein vielfach
anregendes Wechselspiel ergibt, erkannte schon Matisse;
der alte «Paragone», der vor allem in der Renaissance aus-
gekostete Wettstreit der beiden Gattungen mutiert so zu
einem neuen und fruchtbaren Prinzip. Kaum kann es
Zufall sein, das nach Plastiken wie unserem Panflöten-
Monument (Abb. 14) auch die Gemälde um 1960 einen
anderen Charakter annehmen; in zentrierten Figuratio-
nen gestalten sie mythische Ereignisse - der Extrempunkt
solcher der Plastik entsprechenden, zeichenhaften Kon-
zentration wird ın Vengeance of Achilles erreicht. Damit
scheint die Malerei zugleich die Wünschbarkeit der skulp-
turalen Ausdrucksweise absorbiert zu haben; jedenfalls
tritt ihre Produktion ganz zurück. Ihr Neueinsatz in den
späteren siebziger Jahren kündet sich nun umgekehrt in
den nach 1970 stets wichtiger werdenden Collagen an, die
nicht nur an sich plastischen Charakter annehmen, son-
dern öfters auch Reproduktionen stark plastisch wirken-
der Objekte ins Bild bringen. Die früher gelegentlich von
der Unterkante ins Bild hineinragenden, als Umrisse
gezeichneten Rechtecke nähern sich nun als aufgesetzte
Papiere auch materiell den Sockelelementen der Skulptu-
ren. Diese Ableitung bestätigt deren bereits bemerkte, alle
Teile integrierende Einheit und erhellt zugleich einen
gemeinsamen Ursprung von Malerei und Plastik im Ver-
fahren der Collage, des Zusammenfügens von Vorgefun-
denem, Älterem, Anonymem und Ursprünglichem. Das
früheste, uns wenigstens in einer Abbildung bekannte
Werk ist eine Collage, die der junge Cy auf einer Photo-
graphie von 1947 vorweist?l, Die ältesten Arbeiten, die er
in seiner gegenwärtigen grossen Retrospektive in New
York und Houston zeigt, sind aus wenigen vorgefundenen
Dingen wie Türknöpfe u.dgl. zusammengesetzte, zei-
chenhafte Assemblagen oder Skulpturen. Und auf einer
alten Photo erkennt man eine nicht erhaltene Konstruk-
tion von 1954, deren grosser rechteckiger Sockel wie ein
Gemälde behandelt ist - so wie die Schrift «By the Ionian
Sea» auf der Jüngsten unserer Skulpturen das «Segel» zum
Bild macht.
Christian Klemm
Heiner Bastian: Cy Twombly. Catalogue Raisonne of the Paintings, vorliegend
Bd. I 1948-1960 und Bd. II 1961-1965 (München 1992, 1993); zu Leben und
Sntwicklung jetzt neu recherchiert die Einleitung von Kirk Varnedoe zu Cy
Twombly. A Retrospective (Ausst. Kat. New York, Museum of Modern Art, 1994,
S. 8-64). Zur mythischen Dimension Katharina Schmidt: Weg nach Arkadien.
Gedanken zu Mythos und Bild in der Malerei von Cy Twombly (in: Cy Twombly
‚Ausst. Kat. Baden-Baden 1984] S. 60-87).
Roland Barthes: Cy Twombly (deutsch Berlin 1983, erstmals 1979 als Cy Twom-
bly ou Non multa sed multum und Sagesse de l’art).
Für L’Esperienza moderna (Nr. 2 1957, S. 62), wieder abgedruckt im Ausst. Kat.
New York 1994, S. 27; deutsch mit (autorisierten ?) Abweichungen in blätter und
bilder (Nr. 12, Würzburg 1961, S. 62f), wieder abgedruckt in Cy Twombly. Bıl-
der, Arbeiten auf Papter, Skulpturen (Ausst. Kat. Kunsthaus Zürich 1987) S. 13.
Dazu Harald Szeemann im Ausst. Kat. Zürich 1987, S. 8£.
Zeitgeist (Berlin, Martin Gropius-Bau, 1982) Nr. 212 - La grande parade (Amster-
dam, Stedelijk Museum, 1984) Nr. 234 - Leo Castelli y sus artistas. XXX anios de
promociön del arte contemporaneo (Mexico City, Centro Cultural Arte Contem-
poraneo 1987) Nr. 159-164 - Cy Twombly. Peintures, ceuvres sur papier, sculptures
(Ausst. Kat. Paris, Centre Georges Pompidou, 1988). Die technischen Anga-
ben oben S. 8.
1981/84, Ausst. Kat. Zürich 1987, Nr. 37.
1977/78, Philadelphia Museum of Art. Abb. in: Cy Twombly. Fifty Days at Tlium.
A Painting in Ten Parts (Frankfurt 1979). In den Panneaux mit den grossen,
blumenartigen «Schatten» nähert sich hier Twombly schon stark der neuen,
in Goethe in Italy zum Durchbruch kommenden Auffassung. Auf der zweiten
und dritten Umschlagseite der genannten Publikation sind übrigens die üppig
tief grün bewachsenen Abhänge um Twomblys Atelier in Bassano in Teverina
zu sehen, die wohl zu den Inspirationsquellen von Goethe in Italy zu zählen
sind.
Man vergleiche etwa die merkwürdig an das zweite Panneau erinnernde
Beschreibung eines Abhanges bei Bologna in der Italienischen Reise, Bologna,
20. Oktober.
Nachdem Lucio Amelio vereinzelte Skulpturen in seiner Galerie in Neapel
gezeigt hatte, traten diese erst mit der monographischen Ausstellung Cy
Twombly. Skulpturen (Kat. mit Texten von Gerhard Storck und M. Stocke-
arand) im Museum Haus Lange in Krefeld 1981 ans Licht, und mit der
gedrängten Präsentation an der Documenta in Kassel 1982 ins allgemeine
Bewusstsein. Harald Szeemann zeigte sie in seinen Skulpturen-Ausstellungen
1985/86 (beginnend mit Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise
[Kunsthaus Zürich 1985] Nr. 7-11) und wies ihnen in seiner Zürcher Twombly-
Ausstellung eine bedeutende Stellung zu. Die 1994 von Cy Twombly dem
Kunsthaus geschenkten Skulpturen kehrten bereits nach dem Ende der
Tournee dieser Retrospektive nach Zürich als Leihgaben zurück; im Auwsst. Kat.
Zürich 1987, Nr. 112, 115, 119, 122, 123, 124, 127, 129 z. T. die Abgüsse, vel.