Volltext: Jahresbericht 1994 (1994)

AUSSTELLUNG DER SCHWEIZERISCHEN 
STIFTUNG FÜR PHOTOGRAPHIE 
«Photographie Nebensache» 
Hans Knuchel —- Reto Rigassı - Vladimir Spacek 
Anstelle der geplanten Retrospektive über das Werk von 
Emil Schulthess hatte die Stiftung die unerwartete Mög- 
lichkeit, drei Photographen vorzustellen, deren experi- 
mentelles Schaffen verwandt ist. Alle drei arbeiten mit 
elementaren Mitteln der Photographie: Mit der «Camera 
Obscura», mit dem Licht, der Beleuchtung und Spiege- 
iungen sowie mit Veränderungen, die sich durch die Ein- 
wirkung der Sonnenstrahlen ergeben. 
Vladimir Spaceks grossformatige Photos wurden gros- 
sen reflektierenden Glasflächen gegenübergestellt, um da- 
durch eine Raumerweiterung, Verdoppelung und Trans- 
sarenz zu erreichen. Durch die Spiegelung wurde 
gleichzeitig der Betrachter ins Spiel gebracht. Eine Multi- 
diaprojektion mit Menschensilhouetten und Waffen kon- 
frontierte den Besucher mit der Gewalt in unserer Zeit. 
Bei Rigassis Arbeiten ist die Einwirkung des Sonnen- 
lichtes von entscheidender Wichtigkeit — durch den 
Gebrauch einer Linse, die Brennspuren des Sonnenlichtes 
in Papier zeichnet, oder in seinen Gletscheraktionen, bei 
denen durch Abdecken mit weissen Tüchern die Einwir- 
kung der Sonnenstrahlen reflektiert wird und so nach 
einiger Zeit plastische Formen auf dem Gletscher erschei- 
nen. Um diesen vergänglichen Prozess festzuhalten, 
benützt Rigassı die Kamera. Im Gesamtwerk Rigassis ist 
das Erbe der «land art» deutlich zu erkennen. 
Bei Hans Knuchel bestimmt die Form der Kamera die 
Bildarchitektur. Mit seinen selber konstruierten Lochka- 
meras erforscht er neue Abbildungsmöglichkeiten. Auch 
Dei seinen Stereophotographien provoziert uns Knuchel, 
unsere eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten neu zu 
erleben. Er fordert uns auf, sich in spielerischer Art und 
Weise auf neue Formen des Sehens einzulassen. LE 
AUSSTELLUNGEN IN DER SAMMLUNG 
Richard Gerstl 
Erst zum dritten Mal erlebte das zwischen 1905 und 1908 
entstandene, schmale und eruptive Werk des Wiener 
Malers Richard Gerstl eine grössere Präsentation. Im 
Anschluss an das Kunstforum Wien wurde er überhaupt 
»rstmals ausserhalb Österreichs in fast vollständiger 
Zusammenfassung seines erhaltenen Schaffens in Zürich 
vorgestellt. Leider - wie oft in solchen Fällen frühvollen- 
det jung Verstorbener - ist eine Rückführung in die Kunst- 
geschichte ein schwieriges Unterfangen. Die eingebürger- 
ten Namen und Stilformen haben das «Gesicht der 
Epoche» geprägt - und Gerstl wird kaum mehr aus dem 
Schatten Klimts, Schieles und Kokoschkas heraustreten. 
Dazu haben der Bannspruch Arnold Schönbergs, mit des- 
sen Frau Mathilde Gerstl durchbrannte, und die seltsame 
Nachlassgeschichte äussere Gründe geliefert. Im Kern sei- 
ner Porträtmalerei, die in seinem Freundeskreis und sich 
selbst ihre Modelle fand, steht die frühe Erfahrung der 
Beziehungslosigkeit. Es geht nicht mehr um eine Charak- 
zerisierung des Gegenüber, nicht einmal mehr um die 
Erfassung von dessen psychischer Befindlichkeit - Gerstl 
schilderte wohl als erster die nackte Andersartigkeit des 
andern, die andere Existenz. In seinen extremsten For- 
mulierungen wie dem «Gruppenbildnis mit Schönberg» 
(1907) verzichtete er darum auf Gesicht und Augen und 
zerstörte die physische Präsenz des Gegenüber bis zur 
Formlosigkeit, wobei die wie mit Händen bearbeitete 
Malhaut nur den schmerzlichen, letztlich tödlichen Ver- 
lust des Körpers signalisierte. Diese Extremposition seiner 
Menschendarstellung weit ausserhalb seiner Zeit verdeut- 
lichte die Gegenüberstellung mit Werken aus der Samm- 
lung von Munch, Kokoschka, Corinth oder Beckmann 
und offenbarte vielmehr eine innere Nähe zum späten 
Alberto Giacometti. GM
	        
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